Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, [Potsdam, nach dem 16. November 1882]

Mein lieber Ernst!

Zum Schreiben an Dich kann ich immer nicht kommen, obgleich ich mich in Gedanken so viel mit Dir beschäftigt habe. Schon ehe ich Deinen letzten Brief, für den ich Dir recht herzlich danke, erhielt und als ich in der Zeitung las, daß der Zoologe in Bonn gestorben sei, mußte ich viel daran denken, was Du wohl thun würdest, wenn Du einen Ruf an der Bonner Universität erhieltest. Wie gerne, mein lieber Herzens Sohn, möchte ich mich mündlich über Alles aussprechen, doch das geht nicht, und ich muß mich genü-||[gen] lassen zu versuchen Dir schriftlich einige meiner Gedanken auszusprechen, das wird nun freilich ein Quodlibet werden, dann so sieht es jetzt oft in meinem Kopf aus. Daß Dir es schwer wird von Jena fort zu gehn finde ich natürlich und noch mehr ist das verstärkt durch Eueren Hausbau, aber der darf Euch nicht hindern; denn das Haus läßt sich auch auf einige Jahre vermiethen und bliebe Euch immer als Rasthaus, wenn Ihr Euch aus dem Getümmel des Lebens zurückziehen wollt. –

Wie mir scheint hast Du schon seit Jahren es bekundigt: unbedingt in Jena zu bleiben, und das ist nach || meiner Ansicht a irrig; wenn auch der Wechsel des Wohnorts viel unangenehmes hat; so thut es doch den meisten Menschen gut, wenn er in verschiedenen Lebenskreise sich fügen muß, das schützt vor Einseitigeit. – Bei der Frage ob Du wenn ein Ruf zur Bonner Professur an Dir ergingeb Anzunehmen oder Abzulehnen sei, c zu Entscheiden gehört zu aller erst die Erwägung: was das Beßte für Deind Berufsleben ist, wo Du glaubst ame meisten wirken zu können. Dann natürlich was für Frau und Kinder || das Beßte ist. Agnes würde es wohl schwer ihr liebes Jena zu verlassen, und doch bin ich überzeugt, daß Agnes sich überall gerne einlebt, wo der Mann in seinem Berufsleben zufrieden ist. Euch Allen könnte es gewiß nicht schaden wenn Ihr mal in anderer Luft als Jena leben müßtet, vielleicht hättet Ihr dann weniger mit Erkältung zu kämpfen.

Doch für heute genug ich kann nicht mehr schreiben. Also gute Nacht, mein Herzens Sohn! Behalte lieb

Deine alte Mutter

Lotte.

a gestr.: Un; b korr. aus: esginge; c gestr. ka; d korr. aus: Deinem; e korr. aus: den

Brief Metadaten

ID
36925
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
nach dem 16.11.1882
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36925
Zitiervorlage
Haeckel, Charlotte an Haeckel, Ernst; Potsdam; nach dem 16.11.1882; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_36925