Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 29. November [1878]

Potsdam 29/11

Mein lieber Ernst!

Welche Freude war es mir als ich gestern Deinen lieben Brief mit der Sendung erhielt. Hab tausend Dank für alle Liebe. Gott segne Dich, mein Herzens Kind! – Wenn mir auch der gestrige Tag im Vergleich von früher wehmütig war, so habe ich doch in der Erinnerung auch mit Dank das viele Gute durchlebt, was mir im Leben geworden ist. Wie ich mit ganzer Seele Theil nehme an dem Wohl und Weh meiner Kinder und Enkel, so ist es mir auch lieb wenn sie mir von ihren Erlebnissen mittheilen: so || beglückt es mich, daß ich sehe daß Dein Lebensberuf Dich befriedigt; Deine Vorlesungen machen Dir ja auch in diesem Wintersemester Freude; Arbeit liebst Du ja, aber ich bin immer bange Du übertreibst es etwas, forderst von Dir selbst zu viel; mir schwindelt, wenn ich mir die vielen verschiedenen Arbeiten bedenke. So schön es auch ist, daß die 7te Auflage der Schöpfungs-Geschichte erscheint, so denke ich doch mit Grausen ana die Corekturbogen, die Dich dann täglich quälen. – Mit Intresse habe ich die Blätter ge-||lesen über Deinen Anti Virchow. Habe auch Dank für die Uebersendung der gesammelten Vorträge. – Wie ist es aber bestimmst Du die Rheienfolge [!] und Zusammenstellung in den Heften, oder ist das ganz dem Verleger überlassen? Es kommen doch später auch die Etna- Pik- und Olimpbesteigung? – –

Du schreibst, ich solle mir keine Sorge um die Kinder machen, und da habe ich mich grade jetzt, wo auch so manches mir bei meinen Enkelen hier ist, was nach meiner Ansicht anders sein müßt, das kam so zusammen mit dem Wunsch, daß || auch Dir und Agnes die Sorge schwinden mögte. Und ich kann es nicht leuchnen, daß ich wohl recht traurig war, da viel [!] mir auch Paul Gerhardts schönes Lied: Befiel du deine Wege der Vers ein: mit Sorgen und mit Grämen etc. und der Schluß: bist du doch nicht Regente, der alles leiten soll. –

So wollen wir unser Mögliches für die Kinder thun, und Gott möge Gedeihen geben; und uns allen Muth und Zuversicht.

Um eins bitte ich Dich dringend; wecke in den Kindern das sitlich religiöse Gefühl. || Kinder sind jetzt in dem Alter, wo die Erziehung am schwierigsten ist, weil noch zu wenig Einsicht und Verständniß ist, und die Unarten erwachen.

Du schreibst Ihr hättet schon daran gedacht eine Erzieherin zu nehmen; doch abgesehn davon, daß immer der Untericht in der Schule dem häuslichen vorzuziehen ist, so hatb es große Unbequämlichkeiten, ein fremdes Element in die Familie aufzu nehmen, und wenn das auch überwunden wird, so würde || sich Agnes gewiß schwer darin finden, daß sie dann sich ganz unbedingt darin finden müßte, die Kinder ihr ganz zu überlassen, und ist es mir doch als müsse die so nöthige religiöse und sittliche Grundlag in die Seele der Kinder hauptsächlich durch die Mutter gelegt werden; darauf läßt sich dann weiter bauen. –

Nun genug: der alte Kopf und Hand können nicht mehr was bessers sagen, Du siehst aber doch wie Dein und der Deinen Wohl das Herz bewegt Deiner alten

Mutter Lotte.

a gestr.: nur; eingef.: an; b korr. aus: hatte

Brief Metadaten

ID
36802
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
29.11.1878
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
14,0 x 21,7 cm; 14,0 x 21,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36802
Zitiervorlage
Haeckel, Charlotte an Haeckel, Ernst; Potsdam; 29.11.1878; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_36802