Potsdam 19/8 77.
Mein lieber Ernst!
Hoffentlich feiert Ihr, Lieben, morgen Eueren Hochzeitstag recht heiter, wie Euere alte Mutter es Euch wünscht. Unser Leben hier auf Erden ist ja einmal viel Stückwerk, und Ringen immer mehr nach dem Besseren, und durch Liebe wird vieles geebnet; das empfinden wir am Meisten durch den Einfluß den in der Ehe einer auf den andern übt. Ich finde es so natürlich, wenn es einer Zeit bedarf, bis sich die Ehe so gestaltet, wie es sein soll, kommen doch || meistens die Eheleute aus ganz verschiedenen Lebenskreisen zusammen. Daher habe ich auch immer gemeint: die erste Zeit der Ehe sei nicht die beßte, und das Leben mit einander wird ein Leben immer schöner. Darum hat mich auch gestern Euere Briefe so innig gefreut, weil Du sowohl wie Agnes es aussprecht, wie Ihr Beide befriedigt seid und Euch freut morgen Eueren zehnjährigen Hochzeitstag zu feiern. Gott gebe Euch allen ferner Wohlergehn. ||
Dir, lieber Ernst, danke ich auch noch, daß Du den Wunsch äusserst, ich möchte zu Euch kommen, aber ich muß darauf verzichten; in Gedanken bin ich bei Euch. –
Als unser Karl heute vor 8 Tagen ankam, freute ich mich, wie er so wohl und frisch aussah, leider ist es aber nicht so wie ich wünsche, schon Montag mußte er das Bett hüten, er meint zwar es ginge jetzt besser, er sieht aber angegriffen aus, der Magen macht ihm zu schaffen. Hoffentlich wird es bald wieder ganz gut. Die Kinder || sind wohl. Daß Heinrich bei Euch ist, freut mich, grüsse ihn herzlich von mir.
Daß Du denkst, mit Agnes solch schöne Reise zu machen, freut mich sehr, heute sagte noch Liskow welche Freude es seiner Frau gemacht, sie sind Beide zusammen in der Schweiz gewesen. Liskow sagte mir auch Du wärst viel heute in der Nationalzeitung in einem Artikel erwähnt; ob in Lob oder Tadel weiß ich nicht; kannst Du Dir die Zeitung verschaffen, sonst schicke ich sie Dir unter Kreuzband.
Seid alle noch aufs innigste gegrüßt von Euerer
alten Mutter Lotte.