Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 4./5. Dezember 1874
Potsdam 4/12 74
Lieber Ernst!
Herzlichen Dank für Deinen heute erhaltenen Brief, der sich mit meinem gekreuzt hat, und die Antwort auf meinen a enthält. – Die Versicherung Eueres Wohlseins erfreut mich sehr. Auch ist es mir lieb, daß Ihr etwas geselliger lebt, haltet Euch nur munter dabei.
Deinen Auftrag an Karl werde ich ausrichten, und Du machst dadurch gewiß Freude. Heute habe ich Karl nicht gesehn, da er mit Clara und Anna in Berlin ist, wo er mancherlei zu besorgen hatte, und || heute Abend werden sie bei Heinnrich sein, wo ein Fest zur Einweihung seines Hauses sein soll. Mit Karl besprach ich gestern, wo wir auch von Dortmund die Aufforderung zur Betheiligung erhalten hatten, die Sache. Karl meint es sei sicher und die 6 Procent mitzunehmen. Das ist wahr, aber ich für meine Persohn werde mich nicht mehr dabei betheiligen, und Ihr mögt es auch reichlich überlegen, was ich besitze also auch das bei der Westphalia angelegte, kommt einst zur Theilung für Dich und Karl. Im Ganzen finde ich haben wir schon nach || unseren Vermögensverhältnissen viel bei der Westphalia stehen; bei den Actien derselben hast Du und Karl jeder 1000 Thaler und ich 15000 bei den Grundschuldscheinen habe ich 20 Stück also 8000 Thaler, wieviel Karl hat, weiß ich nicht. – Jetzt Pappiere ohne Noth zu verkaufen finde ich deshalb nicht rathsam, weil die Pappiere niedrig stehn, man also dabei verliert. Zu bedenken bleibt auch noch: wenn ich nicht sehr irre, so war beim Anfang zu den Grundschuldbriefen gesagt: nach b einigen Jahren sollten sie verloost werden, und man kann dann plötzlich wieder das || Geld anderweitig unterbringen müssen. – Ich kann Dir da weder zu noch ab rathen. Willst Du Dich dabei betheiligen so würde ich Dir doch rathen höchstens noch 2000 Thaler zu zeichnen, und dabei sagen die Einzahlung würde erst am 1ten Aprill geleistet, man kann dann dazu die Zinsen der frühern Scheine mit benutzen, und braucht dann nicht so viel zu verkauffen. – –
Bei den jetzt so verwirrten Geldverhältnissen bin ich im Ganzen nicht dafür zu viel auf einer Stelle zu haben, verunglückt was, so ist doch nicht alles verlohren. Unsischer [!] ist ja alles irdische. –
5/12
Heute Nachmittag kam die Wurstsendung, Dir und Deiner lieben Frau herzlichen Dank für die Besorgung, ich bitte mir im nächsten Brief zu schreiben, wie viel sie kostet und was Du für Porto ausgelegt damit ich es in unserer Rechnung notiere. Wenn ich später wieder was wünsche schreibe ich, meine an Agnes gemachte Bestellung kann unberücksichtigt bleiben. – Karl läßt vorläufig durch mich danken für Dein Weihnachts Geschenk. – Karl läßt Dir sagen, er riethe Dir, Dich vorläufig bei der Einzahlung der Westphalia gar nicht zu betheiligen, er hat gestern in Berlin darüber noch manche Rücksprache gehabt, und wird || bald selbst schreiben, er hat im Ganzen viel zu thun, daß er schwer zum Schreiben kommt. – Gestern war er mit Clara im Reichstag gewesen, und hatte eine sehr interessante, geistig bewegte Sitzung bei gewohnt, wovon beide noch ganz eingenommen waren; deren Beschreibung in der heutigen National-Zeitung Nummer 567 gut soll wiedergegeben sein, ich habe sie mir mitgenommen zum Lesen. –
Grüße Agnes und die Kinder herzlich von mir. Möge Euere Gesellschaft heute Abend, nach Wunsch ausfallen! Herzens Gruß
Deiner alten Mutter Lotte.
a gestr.: ver; b gestr.: Ja