Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 27. August 1871

Berlin 27/8 71.

Mein lieber Ernst!

Dein gestern erhaltener Brief hat mich recht betrübt, da ich daraus ersehe, daß Ihr die Reise zu uns wieder auf’s unbestimmte verschoben habt, wer weiß wann wir Euch nun sehn werden. Und doch, wenn Ihr Euch fürchtet vor der Colera, so ist es ja besser, Ihr kommt nicht, ich denke zwar solche Krankheiten können uns überall treffen. – ||

Vater habe ich Deinen Brief nicht gegeben, um ihn nicht zu betrüben, da er erst gestern früh sagte: ich sehe doch unseren Ernst zu selten, er wohnt zu weit, und doch muß es gut sein, er ist ja gerne in Jena. – Dann kann ich ihm Deinen Brief nicht zeigen um nicht die ab und zu erwachte Reiselust bei ihm zu erwecken, da er schon oft gesagt: er wolle zu Dir. – So schwer es || mir auch ist ihm das versagen zu müssen, so ist es mir doch zu klar, daß wir keine Reise unternehmen können. –

Daß Du mit Agnes und Lisbeth wohl bist, freut mich, hoffentlich wird Walter a auch bald wieder ganz gesund sein. –

Zweierlei sehe ich aus Deinem Brief, worüber Du mir noch Auskunft geben mußt, er ist geschrieben auf eine Heirathsanzeige des Professor Schenk; nicht dächte das wäre doch noch gar nicht lange, als ich die Todesanzeige seiner Frau gesehn. ||

Dann schreibst Du: bei Gegenbauers geht es fortwährend gut: ist sie etwab in Wochen und was haben sie denn bekommen? einen Jungen oder Mädchen? Wenn das ist, sage ihm meinen herzlichsten Glückwunsch. –

Bei uns ist es jetzt wieder sehr einsam und still: Donnerstag Nachmittag kam Karl mit Clara und nahmenb Georg mit; der kleine Kerl fehlt uns sehr, er war über 3 Wochen bei uns, war sehr || fröhlich und liebenswürdig, aufmerksam gegen den Großvater; aber ihm fehlt doch die Eltern und Geschwister, und so zärtlich er auch gegen uns war, hatte er doch Heimweh und so ist es gut, daß er fort ist. – Unsere armen Potsdammer haben in diesem Sommer viel mit Unwohlsein zu kämpfen: Ernst soll sich recht erholt haben, geht wieder zur Schule, aber hustet noch; Georgs Husten || war auch nicht mehr so schlimm; auch Julius soll es wieder besser gehn; der kleine Max soll aber recht abgefallen sein, heute ist sein Geburtstag. Hoffentlich geht es bald allen besser. –

Tante Bertha ist mit Marie Bleek in Engelberg in der Schweiz, Heinnrich aus Küstrin ist nach Glogau versetzt, sie ziehen zum October hin. – ||

Soll ich Dir etwa die Berechnung Deiner Geldangelegenheiten schicken, oder soll es bleiben bist Du herkommst.

Soll ich Dir Geld schicken, oder willst Du, daß ich Dir noch Pappiere ankaufe: Du bekommst von mir noch einige 100 Thaler. – Anfangs September werde ich bei Kasse sein, daß ich es Dir zahlen kann. –

Wenn Walterchen schon so lange an verdorbenen Magen leidet, sollte es dann nicht gut sein, wenn er mal einige Tropfen Rabarbertinktur bekäme. – ||

Vater grüßt Euch schön, er sagt eben, ich solle Dir schreiben: er sehne sich sehr Dich zu sehn. –

Wie ist Deiner Schwiegermutter das Bad bekommen, haben die Schmerzen nachgelassen? grüsse sie herzlich von mir wie auch Agnes und Clara. Behalte lieb

Deine

alte Mutter

Lotte.

a gestr.: sich; b korr. aus: etwas; c gestr.: holten, eingef.: nahmen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
27.08.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36419
ID
36419