Berlin 2/1 71.
Mein lieber Herzens Ernst!
Erst heute Abend erhielt ich Dein Briefchen, und danke Dir dafür wie für die Wünsche zum Neuenjahr; viel habe ich an meine Jenenser Famielie gedacht; ist doch im Grossen Ganzen diesmal der Jahreswechsel so besonders ernst; und auch im kleinen einzel Leben so bedeutungsvoll. Gott sei mit Euch, Lieben, ganz besonders, er behüte Euer Haus, gebe Agnes eine glückliche Stunde und vermehre so Euer || häusliches Glück. – Ach und wie wichtig ist es für Dich, welchen Entschluß Du über Deinen Lebensberuf faßt, da bitte ich Dich nur recht, ja mit ruhigem Gemüth alles zu überlegen. –
Dinstag. Morgen erwartte ich den kleinen Karl, der wieder nach Freienwalde geht. Heute vor 8 Tagen waren die Potsdammer bei uns außer Ernstchen, der sich Weihnachtsbe[xxx] hatte. Wie mir gestern Karl schrieb wäre er wieder besser und alle wohl und frisch außer Julius, der etwas quäcke. ||
Du kannst denken, mein lieber Ernst, wie gern ich mit Dir alles besprechen möchte, was uns jetzt so bewegt; aber ich finde es zu recht, daß Du jetzt Deine Frau nicht verlassen willst. Nun vielleicht kannst Du bald mal kommen, wenn die erste Zeit glücklich vorüber ist, und nicht mehr so kalt; wir leiden viel von der Kälte; und sind nun schon seit 14 Tagen nicht ausgefahren. Vater hat auch Husten, und ist im Ganzen recht matt, und des Nachts ziemlich unruhig. Hoffentlich erholt er sich bald wieder. ||
Leider kann ich Bertha nun auch nicht sehn, das scheint auch eine langweilige Geschichte mit dem Fuß zu sein, heute war ihre Minna hier, mir Nachrichten zu bringen, die sagte mir: Bertha dürfe jetzt mit Krücken im Zimmer etwas gehn; unangenehm ist es auch für Bertha, daß sie zu Ostern eine Wohnung suchen muß, da die ihrige gekündigt ist. –
Du hast mir nicht darauf geantwortet: ob ich Dir das Geld schicken soll, was Du nach meiner Berechnung noch von mir bekommst? oder ob ich es hier für Dich || anlegen soll? – –
Wenn Du Zeit hast, so schreibst Du uns wohl mal ausführlich. Gott gebe nur, daß endlich das Blutvergiessen aufhöre, ich fürchte immer Paris giebt noch harte Kämpfe, und doch wird es ja nicht zum Ende, wenn das nicht bezwungen ist; wie viel Menschenleben wird das noch kosten. Nun für heute gute Nacht, seid alle drei meine Lieben auf’s innigste gegrüßt. – Auch an Mutter Huschke und Clara bitte ich die herzlichsten Grüsse zu sagen. –
Wie immer
Deine
alte Mutter
Lotte