Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 5./6. August 1870
Berlin 5/8 70.
Mein lieber Ernst!
Du hast uns eine große Freude gemacht, daß Du uns geschrieben; in dieser ernsten großen Zeit hat man doppeltes Verlangen von den Seinen zu hören. Daß Agnes unwohl war und auch ihre Mutter, thut mir leid, und Deine Versicherung, daß unsere Agnes wieder ganz frisch sei freut mich; ich lasse sie dringend bitten sich ja für Erkältung in Acht zu nehmen, das kommt zu leicht in || den heissen Tagen. Du wirst Dich wohl freuen mit Frau und Kind wieder im eigenen Hause zu sein. –
Hier wie überall sind die Gedanken mit den großen Angelegenheiten des Vaterlands beschäftigt, und jeder sucht an seinem Theile mit zu helfen; ich alte Frau kann freilich nur wenig thun; und doch thue ich im Hause Kriegsdienste, unser Diener ist weg, und es hält so schwer, und || ist bis jetzt nicht gelungen einen orndlichen Menschen zu bekommen, alles ist mit weg, da muß ich den ganzen Tag auf dem Zeuge sein; nun wenn nur Vater so gesund bleibt wie er jetzt ist, dann muß ja alles gehn. – –
Heute ist alles erfreut durch die erste Siegesnachricht; es ist ein guter Anfang, doch kann man es sich nicht verhehlen, daß es noch schwere Opfer kosten wird. ||
Sonnabend. Gestern, mein lieber Ernst, war ich zu müde weiter zu schreiben, wie ich ja überhaupt nur immer mir die Augenblicke dazu stehlen muß. Als wir heute Mittag beim Essen waren kam Quincke, der sagte unser Kronprinz sei im Elsaß weiter vorgedrungen und habe überall viel verwundete Franzosen gefunden. ||
Wie gerne, mein lieber Herzens Ernst, möchte ich mich mal mit Dir aussprechen können, auch Vater hat oft rechtes Verlangen nach Dir. Vorigen Sonntag waren wir in Potsdam, und denke Dir zu Wagen. Mit der Eisenbahn war es ja nicht möglich; und Vater wünschte so sehr hin; und es ist mir auch recht lieb, daß wir dort waren; und || es war mir auch interessant mal den alten Weg wieder zu sehn, und wie alles verändert war. Auf der Chosse begegneten uns viele Züge Cavallerie, und Bagasewagen, Pontons und sonstige Kriegsgeschichten. Bertha war mit uns, und wir nahmen Herrmann mit her, der bei Bertha || gewohnt hat, und heute Nachmittag wieder nach Potsdam zurückgefahren ist. –
Bertha, die ich natürlich immer nur flüchtig sehe, ist sehr beschäftigt; der Verein zu dem sie gehört beschäftigt auch die Frauen, deren Männer im Kriege sind, und da haben sie immer viel zuzuschneiden; sie ist fast den ganzen Tag auf dem Bazar. – ||
Ernst Naumann ist nach seinem letzten Brief in Düren, und war wohl. –
Vater grüßt mit mir Dich und Frau und Kind; Vater verweißt Dich auf die Zeitungen, was er Dir schreiben könnte, sähest Du daraus. –
Gieb uns nur recht bald von Euch Nachricht; darum bittet sehr
Deine
alte Mutter
Lotte.