Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 23./24. August 1870

Berlin 23/8 70.

Mein lieber Ernst!

Hab tausend Dank für alle Sorge und Mühe, die Du für uns wegen eines Dieners gehabt; und ich bitte Dich dem, den Du dort gemiethet hattest, etwas zur Entschädigung zu geben; es ist möglich, daß der sehr passend gewesen wäre; bis jetzt läßt [!] der hier genommene für unsere Verhältnisse sehr gut, || er ist sehr willig und aufmerksam für Vater; und wenn auch der jenenser vielleicht noch besser gepaßt hätte, so wäre das doch, wie Du schreibst nur für einige Monathe gewesen; da der hiesige militärfrei ist, so hoffe ich es braucht nicht so bald wieder gewechselt zu werden, da es für Vater doch schlimm ist, sich immer wieder an einen Neuen zu gewöhnen. ||

Heute früh bekam ich einen netten Brief von Clara, wornach in Potsdam noch alles gut ist. Karl schreibt mir dabei, ob ich es wohl gelesen, daß Du zum Mittglied der Münchener Ackademie der Wissenschaft ernannt seist, und wünscht Glück dazu. Du, alter lieber Herzensjunge, schreibst mir nichts davon. Wenn ich auch nicht will, daß Du hochmüthig und eitel werden || sollst, so mußt Du doch Deinen alten Eltern solche Sachen mittheilen, wodurch Du sie erfreust. –

Auf Dein Kommen freue ich mich sehr; aber es thut mir leid, daß Du schreibst Agnes würde nicht kommen, und es betrübt mich dadurch umso mehr, daß ich daraus annehmen muß, daß es irgend mit ihrer Gesundheit nicht nach Wunsch geht, denn wenn alles in || Ordnung ist, so könnte sie doch in irgend einer passenden Zeit reisen. Es ist doch zu betrübt, wenn wir Deine liebe Frau und Dein Kind gar nicht sehn sollen! – –

Walterchen weiß ja noch gar nicht daß er alte Großeltern hat; und wer weiß wann und ob er sie noch einmal sehn wird? – – –

Tante Bertha, die wieder ganz wohl ist, erwartte ich zu Mittag. ||

24/8 70. Gestern konnte ich diese Zeilen an Dich nicht beenden. Ach, lieber Ernst! wenn wir auch in einer großen Zeit leben, die noch mal ein rechter Seegen für Deutschland sein kann; so ist es doch furchtbar: wie viele Opfer der grausige Krieg fordert. Wie greift es in allen Famielien ein; und doch kann es nicht eher besser werden, bis die Franzosen orndlich geschlagen sind. ||

Vater ist jetzt so wohl, daß Du Dich recht freuen wirst, wenn Du herkommst; und Deine alte Mutter sehnt sich sehr darnach, sich mal mit Dir aussprechen zu können. Grüsse Deine liebe Frau herzlich von mir, und unserem Jüngelchen gieb einen Kuß von

Deiner

alten Mutter

Lotte.

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
23.08.1870
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36316
ID
36316