Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 17. Oktober 1870

Berlin d. 17ten

October 1870.

Lieber Ernst!

Gestern hast Du mir eine rechte Sonntagsfreude gemacht, daß ich so gute Nachricht von Dir und Deinen Lieben erhielt. Gott erhalte Euch ferner so! – Seit Du weg bist vermisse ich Dich wieder recht, und es ist mir als sei es schon viel länger, daß Du wieder fort bist. – So kurz Dein Hiersein auch war, so ist es mir doch eine rechte Erquickung gewesen. –

Recht sehr habe ich mich auch über den kleinen Karl gefreut, er kam Freitag Nachmit-||tag hier an, und ich bracht ihn mit Vater Sonnabend Mittag auf den Stettiner Bahnhof. Eben indem ich dies schreibe, erhalte ich von ihm aus Freienwalde einen Brief, wonach es ihm gut geht. Gott helfe weiter.

Seit Du weg bist, haben wir wieder zwei Trauerfälle, die mich recht betrüben. Vor einigen Tagen ist Herr Karbe gestorben, der Bruder von A. Tiem, seine Frau geborene Marie Tiem; ist sehr befreundet mit Tante Bertha, die durch diesen Tod sehr betrübt ist; und || gestern Abend ist Clara Mollard, die Tochter von Tante Sack nach dreitägiger Krankheit gestorben. Clärchen habe ich sehr lieb, und wenn ich sie auch in den letzten Jahren wenig gesehn habe, da ich ja überhaupt sehr isoliert lebe, so wußte ich doch in ihr eine treue Seele zu besitzen, die durch ihr einfaches, anspruchslooses Wesen, durch und durch wahr, so recht weiblich sich aller Herzen gewann; eine seltene Frau, die nie das Ihrige suchte, und für Andere jedes Opfer bringen konnte. – ||

Der arme Mann, die alte Mutter, Kinder und Enkel, alle verliehren sehr viel. Meine Schwester Bertha, die Clärchen auch sehr lieb hatte, kam heute früh zu mir, um es mir mitzutheilen. Die arme Bertha ist durch diese beiden Todesfälle sehr betrübt. Dabei ist sie ja jetzt leicht über allerlei empfindlich, so beklagte sie sich bitter: Du habest sie bei Deinem Hiersein gar nicht besucht; ist das wahr? Künftigen Donnerstag den 20sten, ist Berthas Geburtstag, und da || wollte ich Dich bitten, daß Du ihr dazu schreibst. Laß aber nicht merken, daß ich Dich daran erinnert habe. –

Hast Du mit Deiner Agnes nun darüber gesprochen, ob ich Euch die Weingläser, die mir Bertha für Euch aus Gertrudens Nachlaß gegeben hat, jetzt mitschicken soll? und wollt Ihr auch Wasserglässer [!] haben? Bitte beantworttet mir das bald.

Deine liebe Frau grüße herzlich von uns; und sage ihr, ich habe ihr durch Dich bei der Leinwand auch das halbe Stück Schiffon || mit geschickt, will sie davon nicht zu den Bezügen nehmen, so kann sie es aufheben, bist Du wieder baumwollene Hemden brauchst. –

Vater hält sich, er ist jetzt immer sehr matt und schläft viel bei Tage. Gestern Abend besuchte uns Claras Bruder ein Stündchen, und da habe ich mich gefreut, wie theilnehmend Vater wird. Ich habe es schon mehrfach bemerkt, wie gut Herr Prediger Liskow versteht mit Vater zu verkehren. ||

Gestern meinte Vater auf einmal wieder Du müßtest ihm doch Deine Frau und Dein Kind bringen, und ich mußte ihm klar machen, weshalb Agnes jetzt nicht reisen könne. – –

Daß Ihr neulich eine kleine Gesellschaft bei Euch gehabt, hat mich recht gefreut, ich wünsche für Euch beide sehr, daß Ihr etwas geselligen Verkehr bekommt, der Mensch wird zu einseitig, wenn er nur auf sich angewiesen ist, und wenn es auch || schön ist, wenn man sich am wohlsten im eigenen Hause fühlt mit seinen Lieben, so muß man aber auch mit Andern verkehren können, es ist ja nicht nöthig sich im großen Gesellschaftsstrudel zu bewegen.

Wie hast Du denn Deine Schwiegermutter gefunden? Hoffentlich ist sie wieder ganz besser, grüsse sie und Clara herzlich von mir.

Mit alter treuer Liebe umarmt Dich, Deine Frau und Walter

Deine

Mutter Lotte.

Brief Metadaten

ID
36310
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen
Datierung
17.10.1870
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
13,7 x 22,5 cm; 14,2 x 21,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36310
Zitiervorlage
Haeckel, Charlotte an Haeckel, Ernst; Berlin; 17.10.1870; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_36310