Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 1. September 1863

Berlin 1 Sptmb. 63.

Lieber Ernst!

Deinen und Annas Brief v. 24 August haben wir richtig erhalten. Wir sind am 27 früh um halb 6 Uhr wieder von Schlesien eingetroffen, wo wir in Hirschberg 3 Wochen lang großen Genuß beim schönsten Wetter, obwohl es meist sehr heiß war, gehabt haben. Der August hat den Juli, wo wir mitunter tüchtig gefroren, wieder gut machen wollen. Auch seit dem wir zurük sind, ist es hier sehr heiß und troken gewesen, wogegen Ihr, wie uns Heinrich erzählt hat, am Seestrande öfters Regen gehabt habt. Es ist vom Hirschberger Aufenthalt ein schöner Totaleindruk zurük geblieben, indem wir das Gebirge seit vielen Jahren nicht so genoßen haben, wie dieses Mahl. Wir hatten häufig halbbedekten Himmel und grade bei diesem die reizendsten Beleuchtungen, das schönste Farbenspiel. Carl war unermüdlich im Besteigen des Gebirgs, er hat es zuersta von der Annakapelle über die Schneekoppe nach Johannisbad in Böhmen durch den Hirschgrund nach St. Peter und über Giersdorf zurük und sodann wieder nach St. Peter nach dem Elbfall und über die Schneegrube und die Josephinenhütte und Schreiberhau zurük durchstreift. Er rühmt besonders die prachtvollen großartigen Schluchten auf der böhmischen Seite, wo das Gebirge viel schöner sein soll als auf der Schlesischen. Sodann sind wir noch einen Tag in Petersdorf bei Steudner und einen andern in Hermsdorf und Wernersdorf und auch einmal auf dem Biberstein bei Petersdorf gewesen. b Mutter ist tüchtig marschirt. Ich habe täglich meine Früh Promenade auf dem Kavalirberg im Schatten des Waldes und dann gegen Abends und Nachmittags in den Sattler und auf dem Helikon, wo es eine wahre Prachtpartie am Bober hinter dem Hausberg giebt. Dabei habe ich mit Carl und Adolf den Lauf der Eisenbahn, wie sie sich um Hirschberg herumwinden und endlich am Saum der Berge allmählich hinter Cunersdorf immer höhersteigend bis Gotschdorf aus dem Hirschberger Thal herauswinden wird verfolgt und wir haben auch auf diese Weise großen Genuß gehabt. Carl reiste einige Tage vor uns nach Landsberg zurük, wir || reisten am 26. Vormittags nach und hatten noch einmal den prächtigen Anblik des Gebirges auf der Röhrsdorfer Höhe in der Nähe des ehemaligen Klosters Liebenthal. Von hier geht es bergab in die Dörfer Röhrsdorf und Smotseiffen, welche in einer über eine Stunde langen engenc Schlucht liegen und wo die Häuser eng zusammengedrängt und lauter kleine Obstgärten liegen, welche gegen die Winde geschützt reichliches Obst tragen, so daß die Bewohner meist von der Obstzucht leben. Auf den die Schlucht einschließenden Bergen liegt der Aker der Bauergüter, deren Höfe am Abhang der Schlucht liegen. Es ist etwas reizendes, diese beiden von der Welt sozusagen abgeschloßenen Dörfer, die ganz für sich zu leben scheinen. Kommt man aus ihnen heraus, so fährt man durch das Dorf Ober Mös, wo schon der fruchtbare Akerbau des Thals beginnt, in welchem Loewenberg liegt. Von der Anhöhe sieht man schön die herrliche fruchtbare Gegend des Loewenberger Landkreises, die schon einen viel mildern Charakter trägt, als die soeben verlaßene Gebirgsgegend. Gleich hinter Loewenberg kommt man in das herrliche Boberthal, wo sich die schönsten Wiesen, welche vom Bober regulär überschwemmt werden, stundenlang hinziehen. Kommt man aus diesem Boberthal heraus, so kommt man nach Bunzlau und einige Stunden hinter Bunzlau beginnt die Sandgegend bis Berlin. Man fährt durch Stundenlange Kiefernwälder vor und hinter Frankfurt a/O und nach einer schlecht durchwachten Nacht fährt man endlich in um 6 Uhr früh in Berlin ein, wo wir unsere Luise mit dem Wagen fanden. Es kam mir ganz eigen vor nach diesem Gebirgsaufenthalt wieder hier in Berlin zu sein. Ich habe auch sonst angenehme Erinnerungen aus Schlesien mitgebracht. Hirschberg vergrößert d und verschönert sich ungemein. Wenn man die Gegend durchstreift findet man viele Fabriken, die sie beleben. Es wird in den Vorstädten viel gebaut, und es werden sich, wenn erst die Eisenbahn fertig ist, viele Pensionärs und Rentiers dort niederlaßen. Es wird ein schöner Ort werden. Auch in Schmiedeberg finden sich viel hübsche Häuser, in denen sich bei der Nähe zure Schneekoppe und des Hochgebirgs viele Familien aus dem platten Lande im Sommer niederlaßen. Der neue Weg von Schmiedeberg nach Landeshut, wo ich Carl begleitete, war sehr intereßant. Er ist eine Meile weiter als der alte || und schlängelt sich in den Thälern hin, so daß ich ganz überrascht, beinah von einer ganz andern Seite in der Vorstadt Landeshut angekommen. Den Nachmittag fuhr ich mit Carl nach Grüssau und zog die befriedigendsten Nachrichten über die Akervertheilungen und deren Folgen an die Weber ein. Sie haben sich in ihre kleinen Wirthschaften, die meist mit dem Halten einer Kuh verbunden sind, eingelebt. Auch in Landeshut fand ich Flachsspinnereien und neue gewerbliche Etablissements, welche die Gegend beleben und hatte das wohlthuende Gefühl so wie in der Gegend von Hirschberg, daß sich das Webervolk in der schweren Zeit der 20er und 30ger Jahre durch anhaltenden Fleiß, ohne zu verzweifeln, durchgearbeitet hat, in f der Gegend von Hirschberg zum Theil zum Bauwollengewebe übergegangen ist und durch Hausiren im ganzen preußischen Staat sich nährt. Auch auf den Leipziger und Frankfurter Messen werden in Schlesischer Leinwand sehr gute Geschäfte gemacht und es finden sich von Hirschberg bis Freyburg und Waldenburg wenigstens ein halb Dutzend ganz große Etablissements mit Flachsspinnereien, Bleichen und Appretur-Anstalten neuerer Art, ganz abgesehn auch von den großen Porzellanfabriken, die es in Waldenburg giebt. Das ganze Land von Görlitz, über Lauban, Greiffenberg, Hirschberg, Schmiedeberg, Landeshut bis Waldenburg und hinter ihm die Grafschaft Glatz ist ein gewerbereiches Land. Auch das Volk in Maße ist geistig vorgeschritten und dem Junkerthum entfremdet, während es noch vor 30 Jahren sehr zurük war. Mit Einem Wort: ich habe sehr angenehme Eindrüke aus Schlesien zurükgebracht. Hier haben mich nun die Nachrichten aus Frankfurt über die österreichischen Bemühungen, Preußen todt zu machen, empfangen. Oesterreich hat es offenbar an der Zeit gehalten, unsre innern Rükschritte zu benutzen, und sich in Deutschland geltend zu machen, die deutschen Fürsten zu überrumpeln und sich Deutschland zu seinen undeutschen Kriegen zur Disposition zu stellen, da seiner Monarchie immer noch der innre Kitt und Zusammenhang fehlt. Aber nach der gestrigeng und heutigen Zeitung sind Rußland, Frankreich und England schon auf der Lauer, h sie wollen kein vorzugsweise auf Deutschland gestütztes Oesterreich und sehen dieses als eine Störung des europäischen Gleichgewichts an. || Ich kann dieses Vorgehen Oesterreich nicht einmal diplomatisch klug finden, das Maneuver, die deutschen Fürsten in die Tasche zu steken ist gar zu plump, es ist ihm schon manche Ueberraschung gelungen, wie z. B. die Einverleibung Krakaus. Aber für die Einverleibung Deutschlands werden wohl seine Taschen zu klein sein. Es stünde nun an Preußen durch Wiederherstellung eines wahrhaft constitutionellen und liberalen Systems zu antworten. Aber die Junkerverblendung und die Bornirtheit des leitenden Princips werden es nicht dazu kommen laßen, es scheint fast: als sollte Preußen sich nun einstweilen durch Gottes Gnade trotz aller schafköpfigen Politik erhalten. Wenn erst die deutschen Stämme die Süßigkeit österreichischer Herrschaft eine Zeitlang genoßen haben werden, wird sich wohl die Antipathie gegen Preußen etwas legen.

Deine Beschreibung des Leipziger Turnfestes, wofür wir Dir herzlich danken, hat uns sehr ergötzt. Es ist doch ein schönes Fest gewesen, was den Leipzigern Ehre macht. Carl meinte: ich hätte dort meinem Schönheitssinn für Frauen und Mädchen einen großen Genuß verschaffen können, wenn ich so viel schöne Gesichter und Gestalten in den Leipziger Erkern hätte anschauen können. – Inzwischen haben wir am Sonnabend die Hochzeit in Potsdam gefeiert. Es gieng alles sehr natürlich, ohne unnütze Ceremonien und sehr ordentlich zu. Wir und die Reimerschen Familien fuhren schon angeputzt, sodaß uns Häkelsi die Leute auf der Straße in der Linksstraße ansahen (wo wir zu Fuße giengen) nach Potsdam, nahmen dort Droschken und fuhren sogleich zur Kirche, wo sich eine Gruppe blühender Mädchen hinter den Stühlen des Brautpaars aufstellte hinter ihnen die Hochzeitsgästej, Eltester eine sehr gute Traurede hielt, und wir sodann in verschiedenen Droschken, die jungen Herrn zum Theil zu Fuße in Julius Wohnung fuhren und dort gemüthlich speisten. Ich war neben der Braut placirt und hatte den Auftrag, den Toast auszubringen, wobei ich an die Stamm Väter Sethe und Reimer anknüpfte, ihre Tugenden rühmte, die Jungen zur Nachfolge ermahnte und auch die Fruchtbarkeit der beiden Geschlechter bemerkte. Das Eßen war gut, an guten Weinen fehlte es nicht, wir waren vergnügt, tranken um 6 Uhr noch nach noch Kaffee im Garten und fuhren fast sämtlich um 7 Uhr wieder nach Hause. Ich habe auch Post‘s Bekanntschaft gemacht, der sehr aufmerksam Deiner gedacht hat. Er hat Dir eine Flasche mit Schlangen und eine Schachtel mit Knochen, die er 20 Fuß tiefk bei Buenos Aires unter der Erde gefunden, mitgebracht. Die Krankheit von Hedwig, die bei Bertha am Nervenfieber krank liegt, ist noch nicht entschieden, Quinke ist zurük, und meint die Krankheit müße ihren Verlauf haben. Post ist schon wieder fort nach Bremen, da sie Mitte des Monats wieder abreisen. Grüße Anna und Minchen und kommt in 3 Wochen gesund zu uns. Carl war auch zur Hochzeit und ist Sonntag wieder nach Landsberg.

Dein Alter Hkl

Herzliche Grüße an Richter, er soll sich weder gesund machen, um zum Winter ordentlich fechten zu können.

a eingef.: zuerst; b gestr.: Ich ha; c eingef.: engen; d gestr.: sich; e eingef.: bei der Nähe zur; f gestr.: Hir; g eingef.: gestrigen; h gestr.: und; i eingef.: Häkels; j eingef.: hinter ihnen die Hochzeitsgäste; k eingef.: tief;

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
01.09.1863
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36057
ID
36057