Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, [Berlin], 26. Januar [1863]

26 Januar

Mein lieber Ernst!

Ein Paar Worte muß ich wohl mitgeben, da Mutter schreibt. Heute Mittag bin ich bei Stöberwetter spatzieren gewesen. Wir haben ordentlichen Winter, auch bei Euch wird es stöbern, wie wird es im Hirschberger Thale sein! Ich erinnere mich noch sehr lebendig, wie ich durch den weiten Weg nach dem Gymnasio (20 Minuten) mit großer Lust durch den Schnee wanderte und wie ein Held in das Classenzimmer trat, wenn der Schnee recht tief gewesen war. So hat jedes Alter seine eigenen Freuden! Jetzt wo ich ein 84ger geworden bin, haben die Freuden sehr abgenommen und ich finde meinen größten Genuß darin, wenn es meinen Kindern wohl geht. Schon mit Lust denke ich der Zeit, wo Du wieder hier bei uns sein wirst.

Ich sitze jetzt sehr in den Hohenstaufen. Da giebt es tüchtige Charaktere mit einem starken sittlichen Selbstbewußtsein. Manche meinten es in den Kreuzzügen mit dem Christenthum ehrlich, es war ihnen damit Ernst und sie wollten dadurch das Wohl der Menschheit fördern. Ich mache hiebei die Erfahrung, wie oft es unendlich schwer ist, den Zusammenhang des Geschehenen klar und deutlich aufzufaßen. Es liegen mir wenigstens 6 Bücher vor, die ich genau vergleichen muß, um diesem Zusammenhang herauszufinden und habe manche Kapitel drei bis 4 Mahl gelesen, ehe ich damit zu Stande gekommen bin. Es kann nicht ausbleiben, daß die Schriftsteller, indem sie sich auf die Darstellung der Details einlaßen, den Faden manchmal verlieren und daß es dem Leser dann oft schwer wird, ihn wieder herauszufinden.

Auf dem Landtage geht es noch sehr still zu, die Commißionen sitzen in ihren Arbeiten, um sich vollständig zu orientiren und das ist nicht so leicht. Die Hauptsache worum sich alles dreht ist das Budget und die vorliegende Novelle für die Militärverfaßung; da wird es sich zeigen, ob oben wirklicher Ernst vorhanden ist, sich auszusöhnen. Ferner wird man der Willkühr Regierung || im Innern auf den Leib gehen, wie es Hertling in Betreff unserer schrecklichen Justiz schon getan hat. Manche merken, daß dem Bismarck die 12.000 rℓ. Gehalt doch zu wohl schmeken, als daß er sie fahren laßen sollte. Denn eine Pension würde schwach ausfallen, da er nur kurze Zeit im Dienst gewesen.

Künftige Woche erwarten wir unsern Besuch aus Hirschberg, worauf ich mich sehr freue, da ich die Lampertsche Familie sehr lieb habe. Rükt nur erst die Jahreszeit vor und bekommen wir längere und mildere Tage, so wird es sich auch viel beßer leben laßen. Die jetzige Jahreszeit ist gar zu schlimm.

Nun Adieu mein lieber Ernst! Grüße die Freunde

Dein dich liebender Alter

Hkl

Brief Metadaten

ID
35944
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen
Datierung
26.01.1863
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
1
Format
14,3 x 22,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35944
Zitiervorlage
Haeckel, Carl Gottlob an Haeckel, Ernst; Berlin; 26.01.1863; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_35944