Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 16. Mai 1865, mit Nachschrift Charlotte Haeckels

Berlin 16 Mai 65.

Mein lieber Ernst!

Wie ungemein mich Dein letzter Brief und daß sich dein äußeres Schiksal für die nächsten Jahre nun endlich bestimmt hat, erfreut hat, kann ich dir kaum sagen. Der liebe Gott meint es sei gut mit Dir, er giebt Dir schöne Gelegenheit zur Entwikelung Deiner Kräfte, was Tausenden nicht vergönnt ist. Drum nimm es dankbar hin. Was mich hier betrifft, so fahre ich ununterbrochen in meinen brandenburgschen Studien fort und hoffe sie bald beendigt zu haben, wornächst ich dann wieder zu den Hohenstaufen übergehe. Stenzel‘s Geschichte des preußischen Staats, die ich zu diesem Behuf studirt habe, ist sehr gut, a der ganze Preußische Staat ist ein wunderbares Ding, das sich auf die eigenthümliche Weise herausgearbeitet hat und nun im Laufe der Entwikelung der Weltgeschichte erst etwas ordentliches werden soll. Die preußischen Kriege sind bisher nur geführt worden, um den Staat zu constituiren, die weitere Ausbildung ist Sache der Zeit. Die Grundzüge zu diesem Staat finden sich aber schon in Friedr. II, diesem außerordentlichen Manne vereinigt, einerseits kriegerischer Geist, andrerseits der entschiedenste Trieb und Lust zu wißenschaftlichem Leben und es ist merkwürdig zu sehen, wie sich beides in ihm vereinigt hat. Während er in Leipzig mit seinen Generalen die Anordnungen zur Schlacht bei Roßbach trifft, führt er mit Gottsched und Gellert ein 2 Stunden langes Gespräch über das Wesen der deutschen Sprache, welches ihm diese Männer näher erläutern sollen. Nun wenn er jetzt lebte, würde er sich bei seinem klaren Geiste und seinem hohen Sinn über die Entwikelungen der Zeit wundern. Sie würden in außerordentlich ansprechen und er würde sich freuen, wenn er sähe, wie von unten her sich alles von selbst entwikelt, während er das Geschäft der Ausbildung von oben herab selbst übernehmen zu müßen glaubte.

Ich gehe zwar täglich 2 Mahl 1 Stunde spatzieren, jetzt 1 Stunde früh und 1 Stunde gegen Abend. Aber ich fühle doch, daß meine Kräfte allmählich abnehmen, muß aber Gott äußerst || dankbar sein, daß es mir noch so geht. Nun ich will dankbar hinnehmen, was mir Gott giebt und das Uebrige ruhig erwarten. Die 1ste Hälfte des kommenden Monats wollen Mutter und ich in Landsberg zu bringen, die 2te Hälfte hier in Berlin und den Monat Juli gedenken wir bei Dir in Jena zu verleben.

A Dieu mein lieber Ernst! Gedenke fleißig Deines alten Dich zärtlich lieben Vaters:

Hkl

Da Seebeck sich Deiner bei der Besetzung der Stelle so freundlich angenommen hat, so werde ich ihm in diesen Tagen schreiben und ihm dafür auf das Herzlichste danken.

[Nachschrift Charlotte Haeckels]

Ist das nöthig oder Dir lieb? ich habe es Vater ausgeredet und ihn gebeten, es lieber mündlich zu thun, wenn wir zu Dir kommen. ̶

Grüße Deine Freunde und auch Bertha.

a gestr.: und

Brief Metadaten

ID
35926
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen
Datierung
16.05.1865
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
1
Format
22,8 x 14,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35926
Zitiervorlage
Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Charlotte an Haeckel, Ernst; Berlin; 16.05.1865; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_35926