Carl Duisberg an Ernst Haeckel, Elberfeld, 28. März 1892

FARBENFABRIKEN

VORMALSFRIEDR. BAYER & CO.

ELBERFELD, DEN 28. März 1892.

Herrn Professor Dr. Ernst Haeckel

Jena

Hochverehrter Herr Professor!

Allerherzlichsten Dank für die freundliche Uebersendung der Separatabdrücke Ihrer herzerquickenden Broschüre. Dieselbe hat nicht nur mir sondern auch meiner Familie, meinen Freunden und Bekannten die grösste Freude und Genugthuung bereitet, und danken wir Ihnen alle dafür, dass Sie, ein Feind des politischen Kampfes, dennoch, als die freie Wissenschaft und freie Lehre bedroht war und man uns in die mittelalterliche Geistesknechtschaft zurückführen wollte, die Führung gegen die Gegenreformation übernommen haben. Zwar scheint es ja, als wenn auf den abschüssigen Pfaden halt gemacht und mit den Zugeständnissen an den Klerikalismus nicht weiter gegangen werden sollte. Doch ist Vorsicht sehr angezeigt, da der neue Kultusminister Dr. Bosse gerade derjenige ist, der, sei es aus Überzeugungstreue (?) oder wahrscheinlich aus höfischer Unterwürfigkeit die officiellen Tischgebete bei Repräsentationsfesten in Berlin eingeführt hat. Ich bin sehr gespannt darauf, was dieser bigotte Jurist über das Wesen der Volksschule verbrechen wird. Seine erste Massnahme wird sicherlich die sein, dass er auf Grund Ihres Artikels über die Weltanschauung des neuen Kurses Sie in den preussisch-papistischen Bann erklärt und im Kultusministerium für Ihre reumütige Umkehr beten lässt! Wäre die Situation nicht so erschreckend ernst, man könnte die schönsten Humoresken schreiben. Aber Zedlitz-Trützschler hat wenigstens das Gute bewirkt, dass die freidenkenden Schläfer und Träumer erwacht und die wachenden Liberalen ernüchtert worden sind, dass man endlich eingesehen hat, wie schädlich derartige Kartell- und Versöhnungspolitik werden kann. – Auch der Seperatabdruck aus der GAZETTA CEREVISIA des Naturwissenschaftlichen Vereins hat mich hocherfreut. ||

Indem ich hoffe, dass sich mir recht bald wieder Gelegenheit bietet, nach dem geliebten Jena eilen zu können, wo nicht der schnöde Mammon sondern der Geist regiert, verbleibe ich mit herzlichsten Grüßen

Ihr aufrichtig ergebener

C Duisberg

Brief Metadaten

ID
3588
Gattung
Brief ohne Umschlag
Institution von
Farbenfabriken vormals Friedrich Bayer & Co.
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
28.03.1892
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
2
Format
22,0 x 28,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3588
Zitiervorlage
Duisberg, Carl an Haeckel, Ernst; Elberfeld; 28.03.1892; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_3588