Heinrich Haeckel an Ernst Haeckel, Stettin, 18. Januar 1898

Stettin, 18. I. 98.

Lieber Onkel!

Zum ersten Male bin ich in der glücklichen Lage, Dir auch endlich einmal etwas Angenehmes senden zu können, nicht, wie sonst immer, der Empfangende, sondern der Gebende zu sein.

Schon lange hatten belgische Anhänger und Freunde von Dir den lebhaften Wunsch, Dir die Pforten der belgischen Akademie zu eröffnen. Da aber Belgien ein durchaus ultramontan regiertes Land ist, so stießen die Versuche Deiner || Freunde auf starken Widerspruch, der unüberwindlich wurde, als die belgischen Dunkelmänner in der Einleitung zur neuesten Auflage der Schöpfungsgeschichte vom „vergiftenden Aberglauben des Mittelalters in der Orthodoxie der zahlreichen Kirchen“, von der „monistischen Natur-Religion als der Religion der Zukunft, im Gegensatz zu den Kirchen-Religionen, die sämtlich auf Täuschung und Aberglauben hinauslaufen“ (S. 812) lasen, als sie (S. 123) vernehmen mußten, daß der Baum des Erkenntnisses vielleicht keine gute Species sei. ||

Durch irgend welche Umstände kam es nun zur Kenntniß Deines belgischen Fachgenossen, des Schülers v. Benedens, v. Bambekes etc., daß ich jetzt in naher Beziehung zur Kirche, ja eigentlich schon völlig in derselben stehe. Sie theilten das der Akademie mit und diese fragte bei mir deshalb an. Auf meine Auskunft hin und ausdrücklich wegen meiner nahen Beziehung zum gasförmigen Wirbelthier wurdest Du zum Mitglied der Akademie ernannt. Es würde aber einen Sturm der Entrüstung in Bruessel erregt haben, wenn man direct nach der Hochburg der Ketzerei, || nach Jena, das Diplom gesendet hätte. Aber zu mir, in die weihevolle Atmosphäre echter Frömmigkeit und wahren Gottesglaubens konnten sie es getrost senden, mit der Bitte, es Dir zu überreichen. Das thue ich hiermit und spreche dabei die Hoffnung aus, daß in der 10. Auflage stellen wie die oben genannten und Bemerkungen wie die „vom wahrhaft göttlichen Substanzgesetz“ (Vorwort S. XIII) ausgemerzt werden.

Sonst geht es mir gut. Über Kiautschou habe ich mich richtig gefreut; das erste erfrischende Moment seit Bismarcks Entlassung. Mit herzlichsten Grüßen an die Deinen Dein treuer

Heinrich

Brief Metadaten

ID
35600
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Polen
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
18.01.1898
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35600
Zitiervorlage
Haeckel, Heinrich an Haeckel, Ernst; Stettin; 18.01.1898; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_35600