Wijnendaele, 14. II. 16
Liebster Onkel!
Zum zweiten Mal mußt du deinen Geburtstag im Kriege feiern ‒ wer hätte gedacht, als wir am 80. in Leipzig zusammen waren, daß die nächsten Jahre so verlaufen würden. Ich wünsche dir baldige Beendigung dieser unruhigen Zeiten durch Friedensschluß, oder, wenn auch noch nicht durch allseitigen Frieden, so doch durch Waffenstillstand und einleitende Unterhandlungen. Ich glaube sicher nicht, daß länger als || bis spätestens October-November dieses Jahres das Männermorden andauert. Ob ich freilich bis zum Schluß im Felde bleiben werde, ist mir fraglich. Denn die Verhältnisse am stettiner Krankenhause haben sich so unglücklich gestaltet, daß wahrscheinlich bald meine bleibende Anwesenheit dort nothwendig sein wird. Mein langjähriger Oberarzt, im Kriege zu meinem Vertreter ernannt, hat diese Zeit benutzt, um || Anträge an die Verwaltung zu stellen, welche ihn unter Theilung der chirurgischen Abtheilung als völlig gleichberechtigt neben mir machen soll. Er entpuppt sich als ein Charakter ganz ähnlich dem deines Nachfolgers Plate.
Hier sitzen wir im Winterstellungskrieg ‒ Winter kann man allerdings kaum sagen, denn wir haben kaum 2 Frosttage gehabt, meist ist Nebel, Regen, die Wege, die Felder, die Schützengräben, alles voll Wasser ‒ an der||selben Stelle fest. Gestern war ich zu einer ärztlichen Versammlung in Gent, zu der ich vom Obergeneralarzt unserer Armee zu einem Vortrag aufgefordert war; er lief zu meiner vollen Befriedigung glücklich vom Stapel.
Möge Dir das neue Jahr bessere Verhältnisse der Hüfte und gute Stimmung nach Beendigung des Krieges mit der Aussicht auf mächtiges Blühen und Gedeihen Deutschlands bringen. Grüße Alle von den deinen, welche etwa nach Jena kommen, und sei selbst | herzlichst gegrüßt von deinem treuergebenen Heinrich.a
a Schlußworte vertial am Rande von S. 4 nachgetragen