Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 14. Februar 1852

Berlin 14 Febr 52.

Mein lieber Ernst!

Zu Deinem bevorstehenden Geburtstage bitte ich Gott um seinen göttlichen Seegen. Er wolle Dich führen und leiten auf seiner Bahn, damit Du zu seiner Ehre lebst und ihm wohlgefällig seist. Du trittst nun selbständiger in das Leben hinaus und bedarfst um so mehr seines Schutzes und seiner Hülfe, damit Du nicht auf Abwege gerathen mögest. Halte Dich immer an die Vorschriften des Christenthums und bitte selbst Gott um seinen Beistand, damit Du die richtigen Wege wandeln mögest. Sei unverzagt und hüte Dich vor Kleinmuth, der Deine Kräfte lähmen könnte. Unternimm alles im Vertrauen auf Gott und wenn sich Dir auf Deinem innerna Lebenswege auch Hinderniße und Schwierigkeiten entgegenstellen, so laße nicht ab, sie muthig zu bekämpfen und der Verführung auszuweichen. Was Dein äußeres Leben und Deine Studien betrifft, so setze Dir, wenn Deine Eigenthümlichkeit, Deine Anlagen, Deine wißenschaftlichen Bestrebungen [sich] noch mehr entwikelt haben werden, ein festes Ziel, was Du mit Ernst verfolgst. Frage hierbei nicht blos Deine Neigungen und Wünsche, sondern prüfe Dich genau, auf welchem Wege Du ein brauchbares Mitglied für die menschliche Gesellschaft werden kannst, was zugleich Deinen Anlagen am meisten entspricht. Du wirst an Deinen Eltern, soweit ihre Kräfte reichen, immer hülfreiche Liebe finden, welche Du ihnen dadurch vergelten magst, daß Du ein recht ordentlicher, brauchbarer und tugendhafter Mensch wirst. ||

In den letzten 8 Tagen ist Herr Pastor Naumann aus Langendorf hier gewesen und hat mehrere Mahle bei uns gegeßen, er hat sich tüchtig umgesehen, ist auch in Potsdam gewesen. Seit einigen Tagen hat es hier nicht geregnet, was in diesem Winter eine große Seltenheit ist, dabei ist es aber doch trübe. Das Spatzierengehen ist mir dadurch erleichtert worden, denn der ewige Regen war mitunter unerträglich.

Die Politik hat mich in diesen Tagen etwas in Bewegung gesetzt, da in der ersten Kammer Anträge zu Bildung einer Pairie von den Herren Alvensleben, Stahl und Genoßen eingebracht worden sind, die, wenn sie durchgehen sollten, uns auf lange Zeit rükwärts bringen und nur neuen Hader und Zwietracht unter b unser Volk säen würden. Du kannst in der gestrigen Spenerschen Zeitung (vom 13. Febr.) sowie in dem heutigen Preußischen Wochenblatt das Nähere hierüber finden. Der ursprüngliche Hefftersche Antrag wird dadurch ganz entstellt und die Vorschläge jener Partei gehen eigentlich nur dahin, die Ritterschaft in die Pairie einzuschmuggeln und ihr das Uebergewicht darin zu verschaffen. Im Hintergrunde aber stekt die Absicht, den größten Theil des größerenc Grundbesitzes in den Junkerfamilien zu fixiren und die Bürgerlichen von dem Erwerb der Rittergüter möglichst auszuschließen, dieses ist die verstekte aber eigentliche Absicht, auf diese Art soll eine Adelskammer aus Junkersfamilien gebildet werden, die allem Fortschritt entgegen ist, während die von Heffter und Genoßen vorgeschlagene Pairie sich stets aus den ausgezeichnetsten Männern des Staates rekrutiren und so immer jung bleiben sollte. Es ist überhaupt sehr | zweifelhaft: ob eine Pairie bei uns in ähnlicher Art, wie in England d möglich ist? Für jetzt gewiß nicht. Mehrere aber meinen, man müße mit unabhängigen großen Grundeigenthümern und ausgezeichneten unabhängigen Männern (denn die Unabhängigkeit ist ein Haupterforderniß) die der König ernennt, einen Anfang machen, und so der künftigen Pairie die Bahn brechen. Sie soll ein Gegengewicht gegen zu starken demokratischen Andrang und zugleich eine Schutzwehr gegen den Absolutismus sein, also ein vermittelndes Glied zwischen dem Volk und der Krone. So viel ist gewiß, man kann keine Pairie auf dem Papier schaffen. Sie muß sich selbst durch Verdienste um den Staat in der vorangedeuteten eigenthümlichen Art erste Bedeutung und Geltung im Volke erwerben. Sie muß also durch ihre eigenthümlichen anerkannten Leistungen sich erst ihren Platz erringen und f sich im Laufe der Ereigniße erst Bahn brechen. Ich lese jetzt Neander über die Stiftung der ersten christlichen Kirche durch die Apostel, was mich ungemein intereßirt und anzieht.

Grüße meine Freunde aufs herzlichste und bringe Deinen Geburtstag recht heiter und vergnügt zu. Wir werden Deiner in Liebe gedenken und auf Dein Wohl trinken.

Dein

Dich liebender Vater

Haeckel

a eingef.: innern; b gestr.: das; c eingef.: größern; d gestr.: bei uns; e eingef.: erst; f gestr.: dazu gehören

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
14.02.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35417
ID
35417