Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 24. Mai 1893

Potsdam 24 Mai 1893.

Lieber Bruder!

Es ist nun schon 8 Tage her, daß ich hier bin und alsbald von Wahl- u. Hochzeitsangelegenheiten in Anspruch genommen wurde.

Mit den Ersteren sieht es traurig aus. Nicht weniger als 5 Candidaturen sind von den verschiedenen Parteien aufgestellt:

1. Deutsch-Conservative: Pastor Schall-Cladow

2. Nationalliberale: Dr. Rethwisch Priv. Gelehrter-Berlin

3. Anti-Semiten: Pastor [Lücke] in Kl. Glienicke

4: Freisinnige Volkspartei: [Lücke] (E. Richter)

5. Sozialdemokraten: Maurer Wernau-Berlin

Es fehlte nur noch die sezessionistische freisinnige Vereinigung, die aber hier nicht organisirt zu sein scheint.

Auch unsre Partei (No 2) ist für den osthavelländischen Kreis: (Nauen, Ketzin, Spandau) zu wenig organisirt u. überhaupt zu wenig zahlreich, um etwas für sich allein ausrichten zu können. Aber die Leutchen wollten doch mal || selbstständig vorgehen! – Wir können nur mit einer Zählkandidatur vorgehen und thun es hauptsächlich, weil die tollen Antisemiten, die sich in ihren Anschauungen doch im wesentlichen mit den Conservativen decken, von ihrem Vorgehen nicht abzubringen sind. – Es kommt voraussichtlich zu einer Stichwahl; aber zwischen wem? –

Das letzte Mal überstimmten die a Deutschfreisinnigen unter Zuzug der Sozialdemokratie den konservativen Candidaten.

Morgen ist nun Polterabend u. Sonnabend die Hochzeit; bis nach dieser halte ich mich von der Agitation fern.

– Ueber ein passendes Geschenk für das Brautpaar habe ich mich, nach Rücksprache mit der Eltze’schen Verwandtschaft ins Einvernehmen mit meinen erwachsenen Kindern gesetzt u. dahin geeinigt: Sieb schenken mit Dir zusammen ein nettes Tafelservice || für 18 Personen ähnlich dem an Marie geschenkten. Es kostet 165 Mk. U. ich habe in Hoffnung Deiner Zustimmung die Beiträge so vertheilt, daß 65 Mk auf Dich u. je 20 Mk auf die Geschwister Marie, Hermann, Ernst, Julius und Friedel fallen. Andre schenken diesen Gegenstand nicht, während für Silber und Bilderchen gesorgt war u. in der Ausstattung ein solches Gesellschafts-Service fehlt. Ich hoffe, es wird Dir diese Wahl hiernach auch recht sein. Es ist ein bleibendes ansehnliches Geschenk für die neue Wirthschaft.

Heinz ist den Sonntag Abend wohlbehalten hier angekommen u. hat mit uns und Große’s den Montag Nachmittag einen netten Ausflug nach dem Entenfängerberg im Wildparkc gemacht. Georg erwarten wir heut Abend.

Ein sehr ersehntes Gewitter droht heut schon den ganzen Nachmittag, aber || kommt immer noch nicht! –

Deine Sendung des Buchs über Italien habe ich dankbarlich erhalten.

Die Erkundigung betr. Professor Hamann’s werde ich, wenn möglich durch Hahn’s Vermittlung ausführen. Ich spreche ihn morgen.

Hermann war vorige Woche 2 Tage hier in Geschäften, kann aber zur Hochzeit leider nicht abkommen. Dich werden wir schmerzlich vermissen. Denkt hübsch an uns morgen (wo viel aufgeführt wird) u. Sonnabend.

Mit viel Grüßen an die Deinen u. Empfehlungen von Herrn Rottenburg

Dein alter

Bruder.

a gestr.: Sozia; b korr. aus: Wir; c eingef.: im Wildpark

Brief Metadaten

ID
35331
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
24.05.1893
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 22,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35331
Zitiervorlage
Haeckel, Karl an Haeckel, Ernst; Potsdam; 24.05.1893; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_35331