Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 26. November 1894
Potsdam 26 Novbr
1894
Lieber Bruder!
Gestern war ich, ebenso wie vorigen Sonntag u. Donnerstag, bei Tante Bertha, da mir Schwägerin Gertrud Sethe geschrieben hatte, daß Tante am vorigen Sonnabend (den 24st) Vormittag eine Ohnmacht gehabt. Der Arzt soll daraus keine besonderen Bedenken hergeleitet haben, hält ja aber im Allgemeinen ihren Zustand für ernst. Die Mittel zur Verschaffung der Leibesöffnung schlagen nicht mehr recht an und der dadurch hervorgerufene Zustand ist immer ein für sie recht unbehaglicher, auch mit zeitweisen Schmerzen verknüpfter.
Ich fand Tante sonst unverändert am gestrigen Nachmittag. Sie ordnet verständig ihre Angelegenheiten, und liest dazwischen, wünschte gestern, || ich möchte einen Band von Sybel’s Gründung des Deutschen Reiches ihr mitbringen. Geldangelegenheiten besorge ich ihr, werde Mittwoch deshalb wieder herüberfahren.
Wie sieht denn Heinrich als Gynaekologe den Zustand an? Stimmt er dem bei, daß bei dem fortgeschrittenen (oder doch veralteten) Vorfall der Gebär Mutter in diesem Alter schärfere Mittel zur Beförderung des Stuhlganges nicht räthlich sind? – B. u. A! – (Ich selbst habe Dr. B. nur vor 14 Tagen gesprochen; seitdem nicht wieder; weiß nur was mir Tante u. Minna mittheilen. Aber B. Ist doch ein erfahrener alter Arzt, hat Tante untersucht u. will noch wissen lassen, wenn er den Zustand für bedenklich verschlimmert hält). ||
– Was Deine Angelegenheiten anlangt, so werden zu Weihnachten rsp. Neujahr im Ganzen c. 3000 Mk eingehen. Brauchst Du davon? Wieviel? Was kann ich anlegen?
Das Bild für Marie Hahn habe ich mit hergenommen, gebe es ihr nächstens.
Was Du mir vom Heinz schreibst, freut mich. Hoffentlich macht man ihm ein Weihnachts Geschenk mit der Ernennung zum A. O. Professor! –
Bedaure daß Schwägerin Agnes wieder einen Anfall gehabt. Wünsche gute Bessrung.
Grüße sie, das Emmchen u. den Heinz von
Deinem
treuen Bruder
Karl.