Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 12. Juli 1892

Potsdam 12 Juli 1892.

Lieber Bruder!

Du wirst aus dem Briefe an meinen Heinz erfahren haben, welch’ überraschende Freude mir Julius mit dem glücklich bestandenen Examen gemacht hat. Ich hatte all’ mein Harren auf Montag, den 11t dieses Monats verspart, und mit Hülfe der ganzen Familie, die sonst wahrheitsliebende „Tante Pauline“ mit eingeschlossen, war ich in diesem Wahn erhalten worden. Sonnabend Nachmittag kam er eine Stunde nach der Depesche herüber; wir tranken auf sein Wohl in Sekt und gutem Geisenheimer. Er ist nun jetzt mit Lotte auf der Erholungstur, die ich ihm von Herzen bewilligt habe. Während Lotte in Zoppot ist, wird er sich Danzig u. die nächstliegenden Bauten des Deutschen Ordens gründlich besehen und einige Wochen an der Küste des Samlandes See baden. ||

Mit mir hat seit gestern, wo Dr. Masius meine Behandlung wieder übernommen hat, (er war ca. 5 Wochen krank) eine veränderte Lebensweise begonnen. Er hat mich wieder genau untersucht, an Lungen und Herz nichts Krankhaftes, wenigstens kein Ueberbleibsel von Rippenfell-Entzündung gefunden, und hält die Krankheitserscheinungen, Katarrh wie Nachtschweiße, für einen nervösen Schwächezustand. Ich soll früh zu Bett gehen, spät aufstehen, Nachmittag auch 2 Stunden ins Bett legen, den Tag über im Garten ruhen, mich weder geistig noch körperlich anstrengen. Ich werde darnach mich richten; wir wollen sehen was es hilft. Das Halspinseln ist vorläufig eingestellt.

Julius hatte ihn gestern, noch ehe er, Julius, selbst abreiste, citirt, um mit ihm selbst zu sprechen, u. wird nun auch beruhigter sein.

Du hast unterdeß Deinen Ausflug nach Kissingen gemacht, u. wie ich aus den heutigen Zeitungen sehe, am Sonntag bei || Fürst Bismarck dinirt. Gewiß hoch interessant. Daß Ihr Thüringer ihm auch Eure Anerkennung u. Dankbarkeit für das, was er an Deutschland gethan und um dasselbe verdient hat, kund thun wollt, finde ich begreiflich. Nur hoffe ich, daß sich daran ebenso wenig, wie in Dresden,a Wien und München bei den öffentlichen Kundgebungen Erörterungen über die jetzige politische Lage und zur Kritik der jetzigen Staats-Regierungb anschließen werden. Dazu ist meines Erachtens bei solchen Kundgebungen des nationalen Bewußtseins nicht der Ort. Ich meine, wir Deutschen müssen unsre schmutzige Wäsche nicht vor den Augen von ganz Europa waschen. Das ist aber meines Erachtens früher durch die wiederholten Mittheilungen in den „Hamburger Nachrichten“ u. „Münchner Blättern“ und auch neuerlichc durch die verschiedenen Unterhaltungen Bismarck’s mit literarischen Aushorchern geschehen, und schadet uns nach || Außen. Solltest Du zu Deiner Information die neusten literarischen Zänkereien zwischen der Norddeutschen Allgemeinen u. den Bismarck-Blättern einsehen wollen, so sende ich Dir die betreffenden Blätter der National Zeitung, wenn Deine Zeitung sie nicht vollständig hat.

Doch hiervon genug. Zu einer erschöpfenden Äußerung bin ich bei meinem jetzigen Zustand nicht aufgelegt.

Was die Geldangelegenheit betrifft, so kann ich Dir auch 3000 statt 2000 M. senden; bleibt’s bei letztrer Summe, so lege ich den Rest vorläufig in die Creditbank.

Die leere Kiste der Gipsbüste ist nach Frankfurt a/Main abgesandt. Habe ich Dir geschrieben, daß meine Schwägerin Toni Boesche doch noch den Folgen der Rippenfell-Entzündung u. Influenza erlegen ist, während ich in Hasserode war? – Gestern ist mein Hermann 37 Jahr alt geworden, übermorgen wird Eva Hahn 6 Jahr. Hahn ist auf einer Reise durch den Schwarzwald.

Mit herzlichen Grüßen an die Deinigen, auch die Leipziger

Dein treuer Bruder

Karl

a eingef.: Dresden,; b eingef.: Staats-; c eingef.: auch neuerlich

Brief Metadaten

ID
35289
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
12.07.1892
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35289
Zitiervorlage
Haeckel, Karl an Haeckel, Ernst; Potsdam; 12.07.1892; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_35289