Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 15. Februar 1891

Potsdam 15. Februar | 1891.

Lieber Herzensbruder!

Zu Deinem Geburtstag meinen herzlichen Glückwunsch! Es könnte ja scheinen, als ob bei dem Glück, das in Dein Heim durch Lisbeth’s Verlobung in voriger Woche gekommen ist, jeder weitere Wunsch zur Zeit überflüssig wäre. Das junge Paar [wird] zunächst eine Weile in der Seligkeit und dem höher gespannten Tone der Gegenwart schwelgen. Aber, abgesehen davon, ihnen der Himmel auch nicht immer voller Geigen hängen wird, ist es Dir u. Deiner Agnes doch recht sehr zu wünschen, daß || in Deinem neuen Lebensjahre Dein Haus vor schwerer Krankheit behütet sein möge. Und ferner: daß der Auszug der älteren Tochter aus dem Vaterhause Euch nicht zu schwer fallen möge. Dazu hat aber vor allem Dein Schwiegersohn in spe beigetragen. Jena ist ja nicht weit und wenn die beiden Leutchen sich innerhalb Europa in jedem Jahre auf einige Wochen einen schönen Fleck Erde ansehen, so ist dagegen auch nichts zu sagen. Aber: mit der Frau Reisen in das uncivilisierte Afrika zu machen, dazu würde ich meine Tochter nicht hergeben! Doch – das sind ja alles Reflexionen, die man, unbekannt mit den Verhält-||nissen Meyer’s, macht; vielleicht recht unnöthige Besorgnisse. Vielleicht hat er vor, nachdem einen guten Theil unserer Erde unter verschiedenen Klimaten gesehen, nun sich festzusetzen und als Dozent der Geographie und Völkerkunde sich einen Beruf zu schaffen!

N. B. Du weißt wohl, daß ich selbst in meiner Jugend alter „Herumreiser“ werden wollte, das liegt ja auch im Haeckel’schen Blut, aber daneben und primo loco muß doch noch eine andre Lebensaufgabe sein!a

Du wirst mir wohl nächstens kurz über seinen Lebensplan Einiges mittheilen. Vor der Hand habe ich nur seine „Weltreise“, die übrigens nicht 1883 sondern 1885 erschienen ist bestellt und Friedel hat mir aus eigenem Antrieb die biographischen Notizen, die so ein Gymnasiasten-Notizbuch der Mutter über ihn enthält, abgeschrieben, wonach er ja denselben Geburtstag mit dem großen Kaiser Wilhelm I hat; auch ersehe ich daraus, daß ihn Heinz vermutlich von Straßburg her kennt. – ||

Ihr werdet gewiß morgen, bei der ersten Vereinigung der zwei Familien recht heiter zubringen. Es ist gut, daß Agnes wieder so weit munter ist. Ich möchte wohl ein Stückchen morgen unter Euch sein. Doch – was nicht geht, geht nicht; ich habe von morgen ab eine saure Schwurgerichtswoche mit allerlei Hallunken vor mir und viel zu thun, konnte auch bei dem Begräbniß unsres alten väterlichen Freundes Quincke nicht sein, wegen Strafkammer-Sitzung. Dir und den Deinen sowie meinem Heinz, vor allem aber u. insbesondre dem Brautpaar meinen herzlichsten Gruß

von

Deinem Karl

NB Heinz könnte mir auch mal einige Zeilen schreiben. Rothes Tagebuch folgt für ihn nächstens! –

a mit Einfügungszeichen eingef.: N. B. Du weißt…andre Lebensaufgabe sein!

Brief Metadaten

ID
35264
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
15.02.1891
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,1 x 21,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35264
Zitiervorlage
Haeckel, Karl an Haeckel, Ernst; Potsdam; 15.02.1891; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_35264