Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 2.-4. April 1887

Potsdam 2 April

1887

1)

Lieber Bruder!

Heute erhielten wir über Jena Deine Tagebuchnotizen über den Ausflug nach Jerusalem u. den Aufenthalt in Beirut, und haben uns recht daran erfreut. Den tristen Eindruck des „gelobten Landes“ hatten wir uns schon aus dem vorher erhaltenen Stücke – 3 Tage nach dem Todten Meer u. Jericho – entnehmen können. Es ist doch jammerschade, wie solche Landschaften gegen früher heruntergekommen sind. Cypern scheint Dich auch nicht sonderlich erbaut zu haben. Deine Karte von dort, vom 22st, kam gleichzeitig heut an, u. auf dem Gerichte brachte mir dann auch noch Referendar Matz den Gruß seines Bruders, des Doktors, mit dem Du ja dort zusammengetroffen bist zu Kaisers Geburtstag. Derselbe hatte zugleich geschrieben, daß Ihr eine so häßliche Ueberfahrt von da nach Rhodos gehabt. Armer Junge! Diesmal scheint Dich das Seekrank-||heits-Kätzchen doch mehrmals heimgesucht zu haben.

Ich schrieb Dir zuletzt am 21 oder 22st., aber wohl noch nicht über die Kaiserliche Geburts Tags Feier. Marie war in Berlin u. hat den Aufzug der Studenten am Vormittag u. die Illumination mit angesehen. Das Volksgedränge u. der Enthusiasmus vor dem Kaiserlichen Palais soll großartig u. erhebend gewesen sein. Ich habe ruhig hier gesessen, weil ich von solchem Gedränge kein Freund bin, habe hier mit den städtischen Behörden Festgegessen u. den Abend mir die Brauhausberg-Beleuchtung (roth bengalisch) mit angesehen. Die Söhne waren nur des Abends aus u. Julius am 24st vorigen Monats noch auf einem Commers-Nachfeier hiesiger Studenten. Das Wetter schlug grade zu Kaisers Geburts Tag um, u. es regnete des Abends. Seitdem ist es veränderlich geblieben u., wenn auch etwas wärmer, doch noch recht unwirsch, so daß ich noch heute, wo zudem richtiges Aprilwetter mit Hagelschauern eintrat, mit Behagen den dicken Winterüberzieher anhatte.

– Die beiden Juristen sitzen seit 3 Wochen in ihren Examensarbeiten u. scheinen ja mit ||

2)

ihrem Thema zufrieden zu sein. Friedel ist heute nach Quinta versetzt u. wird in 8 Tagen 10 Jahre voll. Abgesehen davon, daß er manchmal eine rechte Quarrbüchse ist, macht er mir Freude, namentlich auch durch eifriges Klavierspiel.

Mit Mutter geht es wechselnd; manchmal ist sie recht herunter u. scheint auch Athmungsbeschwerden zu haben. Dann geht es aber auch mal wieder besser. Namentlich, wenn sie Boston spielt, ist sie frischer, und stundenweis auch recht verständig überlegsam, auch in Geldangelegenheiten. –

Morgen ist nun die Confirmation Deiner Lisbeth; läge Jena näher oder hätte es Du es ausdrücklich gewünscht, so wäre ich herübergereist. Ich habe Deiner Agnes geschrieben u. Lisbeth ein passendes Hausbackenes Buch, wie es sich für ein solches Mädchen eignet gesandt. Es ist, nach Agnes heute angekommnen Brief, dort ja alles wohl.

den 4 April

Ich beeile mich, den abgebrochenen Brief zu beendigen, damit er bald fortkommt.

Die Westphalia ist mir viel u. schmerzlich durch den Kopf gegangen. Ich habe vorläufig die den 1st dieses Monats fällige Zubuße (100 M pro Kux) nicht gezahlt u. erwarte noch nähere Nachrichten || aus Westphalen. Sobald Du zurück bist, mußt Du herkommen oder ich komme auf 2 Tage nach Jena. – Anfang Mai ist Bußtag hier (den 4n Mittwoch) so daß ich vom 1-4 Mai leichter abkommen kann. Wir müssen die Sache mündlich besprechen.

Mutter läßt Dir herzliche Grüße sagen u. „Du möchtest Dich doch ja in Acht nehmen“ – u. „ob Du auch gestern an Lisbeth gedacht hättest?“ –

Mit herzlichem Gruß

Dein

treuer Bruder.

Heinz kommt 13-16 April, zum Chirurgenkongreß in Berlin hirher. − Er soll munter sein! –

Brief Metadaten

ID
35246
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
02.04.1887
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35246
Zitiervorlage
Haeckel, Karl an Haeckel, Ernst; Potsdam; 02.04.1887; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_35246