Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 15. Oktober 1885

Potsdam d. 15 October

1885.

Lieber Bruder!

Einigen Zeilen an Heinrich lege ich diesen Gruß für Dich bei und danke Dir bestens für die gelungene Photographie des „Brüderpaars“. Willst Du mir nicht die Rechnung von Günther schicken, damit ich sie aus Deiner Kasse berichtige? –

Mit unsrem Mutterchen habe ich wie Dir Heinz mittheilen wird wieder einen Tanz wegen der Kost gehabt. Sie ließ sich 8 Tage nach Deinem Weggang die stinkenden Hasenüberreste kochen; die Köchin warnte u. konnte es vor Gestank nicht aushalten, so ekelte es sie an. Sie half sich schließlich damit, daß sie das Zeugs anbrennen ließ u. es so ungenießbar machte. Aber Mutter war außer sich wie ich über die ungesunde Kost ihr Vorstellungen machte. Sie ließ den nächsten Tag für die Köchin frisches Fleisch kochen, aß aber selbst || 8 Tage altes Entengerippe! Es ist nichts zu machen. Ich lasse es nun laufen, wie es will. Aber einen guten Wasserkloset habe ich angeschafft u. ihr für den alten Nachtstuhl hingestellt. Das hat sie sich ohne Schwierigkeiten gefallen lassen. Auch in die Scheiben der Stube habe ich eine Ventilationseinrichtung anbringen lassen.

Was die Westphalia-Zuschüsse anlangt, so bestand sie darauf, bei der Abrechnung ihrer Michaeliszinsen solche selbst zu tragen. Ich habe ihr dann, da es ohne Schwierigkeiten für sie sich machte u. sie noch Geld zurückgelegt hatte, den Sommer die Rate vom 15/9 circa 2250 M. auf ihre Einnahmen, die ich ihr abzuliefern hatte angerechnet. Nun will sie aber die Zahlungsaufforderung der Westphalia, – die ich hinter mir habe, haben u. wird dann auch die 1t. November-Rate (von gleicher Höhe) tragen || wollen. Sie will dazu Papiere verkaufen, resp. an Dich (da du noch Kasse von Papieren hast, die ich auf Anrathen des Bankiers für die künftigen Zahlungen verkaufte und bei der Creditbank auf Zinsena niedergelegt habe) ablassen. Sie hat sich offenbar überlegt, daß es schließlich egal ist, wer die Zuschüsse trägt, sie oder wir beide, mit Vorschuß von Dir. Ich möchte nur nicht, daß sie dann aus Sorge sich noch mehr einschränkte u. denke sie noch zu überreden, es betreffs der November-Zahlung (die Du schon gemacht hast) u. der im nächsten Jahr zu machenden 2 Einzahlungen bei dem Abkommen mit uns zu belassen.

Sonst geht es ihr so leidlich; sie klagt oft über Kopfweh und Gliederschmerzen, ist aber immer noch recht lebendig, wenn so ein Thema, wie der Graeff’sche Proceß, oder ein andres Tagesereigniß von religiös-sittlichem Interesse zur Sprache kommt. – ||

Beiläufig – auch mir will die Forderung einer besondern Künstlermoral nicht in den Sinn; ich stehe in diesem Fall ganz auf Seiten des Staatsrechts, wenn ich auch nicht alle einzelnenb Maßregeln u. Angriffsweisen der Staats Anwaltschaft gut heißen mag. In meinen Augen ist der Herr Professor doch moralisch gerichtet.

Nun genug des Geplauders. Mit herzlichem Gruß

Dein

treuer Bruder

Karl.

a eingef.: auf Zinsen; b eingef.: einzelnen

Brief Metadaten

ID
35164
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
15.10.1885
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 21,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35164
Zitiervorlage
Haeckel, Karl an Haeckel, Ernst; Potsdam; 15.10.1885; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_35164