Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 26. September 1872
Potsdam d. 26 Sept. 1872
Lieber Ernst!
Eben fällt mir ein, daß ich Dir noch nicht für Deinen Geburtstagsbrief gedankt habe, was ich hiermit thue. Ich wünsche nur daß Deine Gesundheit wieder bald vollständig in Ordnung sein möge. Bei dem kühlen Wetter frierst Du gewiß eben so sehr wie wir hier. Wir haben schon mehrere Tage geheizt und die Topfblumen hereingebracht. Aber ich denke es wird doch noch wieder milderes Wetter werden. Im Allgemeinen richtet man sich nun aber bei den länger werdenden Abenden schon winterlich ein, geht früher spaziren u.s.w. In den Garten komme ich jetzt weniger; fange dagegen wieder an mehr spaziren zu gehen. Mutter ist sonst jeden Tag ein Stündchen bei uns. Sie ist || wieder etwas besser auf den Beinen, als vor einiger Zeit. Sie geht jetzt täglich „aus Princip“ eine bestimmte Tour, um ihre Beine nicht steif werden zu lassen. Zu meinem Geburtstag war bei uns Familientafela u. nach Tische fuhren wir alle nach dem baierischen Häuschen im Wildpark. Am Sonntag war Familientafel bei Mutter, und Tante Bertha dazu hier.
In Berlin haben wir jetzt recht sehenswerte Ausstellungen. In der historischen Kunstgewerbe-Ausstellung im Zeughause war ich bereits 2 mal, in der Gemälde-Ausstellung noch nicht. Du wirst Dich über beide recht freuen. Nett wäre es, wenn Du auf Deinen Ausflug hierher Agnes mitnähmst. Wann kannst Du denn und wie weit bist Du mit der Schwammarbeit? Fertig muß sie wohl erst sein, bevor Du kommst? – ||
Karl ist munter, aber still. Ich glaube, er hat manchmal etwas Bange vor dem, was er noch alles zu lernen hat im Jus. Sonst ist er verträglich mit den Geschwistern u. darin anders als bei den letzten Besuchen. Bis gegen Mitte Oktober wird er hier bleiben. Die andern Kinder haben von morgen ab Michaelis-Ferien. Mieze, Heinz u. Ernst werden versetzt, d. h. letztrer kommt auf’s Gymnasium, erstrer indes nach Classe II b.
Tante Berta zieht nun nächstens um. Von den verschiednen schwägerlichen Sethe’s habe ich noch niemand gesehen, außer Bertha Pine, die auch einige Tage bei einer hiesigen Freundin zum Besuch ist. Schwager Heinrich soll es immer noch nicht sonderlich gehen.
Mutter will morgen hinüber, nach dem Kirchhofe, und um die arme alte Groß Tante Sack zu besuchen.
Herzliche Grüße von Haus zu Haus
Dein treuer Bruder
Karl.
a korr. aus: Familientafeln