Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Landsberg an der Warthe, 15. Februar 1866

Landsberg a/W den 15 Februar 1866.

Lieber Bruder!

Wenn Du auch Manches von uns über Berlin hörst, so muß ich Dir doch auch mal direkt schreiben. Unser preußisches Tagesgespräch dreht sich, wie Du Dir denken kannst, jetzt vorzugsweise um die Kammerverhandlungen. Die Herren in Berlin speien für sich und ihre Wähler jetzt die Galle aus, die sich seit einem Jahre angesammelt hat. Es ist auf der einen Seite wohlthuend für sie und uns; aber es ist doch traurig und jämmerlich, daß solche Wirthschaft herrscht. Vor jedem neuen Schritt denkt man: „Nun, das wird am Ende doch unmöglich sein“ und nachher ist’s doch möglich. So ist’s mit dem letzten Spruch des Obertribunals. Wahrlich, eine größere Rechtfertigung konnte die vorjährige Twesten’sche Rede nicht erhalten als diese. Man sieht doch nun deutlich, welchen a Metamorphosen selbst Rechtsüberzeugungen || bei dem nöthigen Druck von Oben unterworfen sind! – Und man weiß, wie nothwendig ein neues Gesetz über die Ernennung der Mitglieder für den Obersten Gerichtshof ist, nachdem die Kammern auch ihr Wort mitreden können. – Aber trotz Simson hoffe ich doch nicht so bald auf eine Umkehr der Regierung. Diese Wirthschaft wird sich so lange hinschleppen, als sich 2 Augen nicht schließen. Es ist wahrlich für einen preußischen Beamten oft ein schwer Stück, dabei seine innre Ruhe zu bewahren, wenn man solche systematische Depravation mit ansieht. Den einzigen Trost findet man in der Hoffnung auf dereinstige bessre Zeiten und in dem Sichzurückziehen in das Familienleben und die Studien.

Ersteres gedeiht bei uns in gewohnter Weise. Die Kinder litten in den letzten Tagen zum Theil an Windpocken, bei Georg kamen 2 Backzähne ziemlich schwer; jetzt ist wieder alles in Ordnung. || Nur Mimmi hat wieder mehr u. mehr an Hüftschmerzen zu leiden, wie vor Ernst’s Geburt, sie kann nur sehr langsam gehen u. lahmt dabei sehr. Vor Mitte März kann sie nicht auf Erleichterung hoffen. Unser Heinz lernt so gut wie die älteren beiden Jungen und ist neulich in eine höhere Abtheilung gekommen. Leider geht sein sehr tüchtiger Lehrer nach Berlin ab. Da habe ich den Jungen photographiren lassen müssen u. schicke Dir anbei eine Probe davon. Den 18t wird er nun schon 7 Jahr. Ich hoffe sehr, Du siehst Dir um Ostern die ganze Gesellschaft auf einige Tage an und bitte Dich, Dich ja darauf einzurichten.

Ist die Sache mit Mutter Minnchen nun ins Klare gebracht u. wie? – Unsre Mutter deutete es nur an in einem der Briefe. – Am 21st vorigen Monats hat übrigens erstere die Verwaltung des ganzen Vermögens (excl. der Heringsdorfer Häuser) an Heinrich durch schriftliche Erklärung übergeben. Heinrich ist ganz gut mit ihr fertig geworden. Sie wünscht, daß fortan 1000 rℓ von den Revenuen unter die 5 Kinder alljährlich vertheilt werden. Etwaiger Ueberschuß soll zum Kapital geschla||gen werden, um das in den letzten 8 Jahren Zugesetzte (bei der Thuringia − u.s.w.) wieder einzubringen. – Emilie Vierke kommt zur Pflege von Mimmi her; unterdeß wird Mutter Minnchen zu Tante Gertrud nach Berlin gehen. Die Nachrichten aus Berlin waren ja in diesen Tagen besser, wenn es auch mit Tante Bertha nur sehr langsam vorwärts geht.

Nun ade, alter lieber Junge. Ich drücke Dir, ebenso wie Mimmi es thut – am morgenden Tage still theilnehmend die Hand und bin u. bleibe

Dein treuer Bruder

Karl.

Karl grüßt noch besonders, er treibt mit Interesse Geographie von Asien u. Kreislehre.

a gestr.: Metapl; eingef.: Meta-

Brief Metadaten

ID
34974
Gattung
Brief ohne Umschlag
Datierung
15.02.1866
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 21,8 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34974
Zitiervorlage
Haeckel, Karl an Haeckel, Ernst; Landsberg a. d. W. (Gorzów Wielkopolski); 15.02.1866; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_34974