Sethe, Anna

Anna Sethe an Ernst Haeckel, Berlin, 24. April 1860

Berlin den 24. 4. 60.

Keinem Feldherrn kann siegestrunkener nach einer gewonnenen Schlacht zu Muthe sein, kein Vogel sich früher [!] fühlen, dem nach Jahren der Käfig geöffnet und in Freiheit gesetzt wird, kein Mensch im größten Glücke sich glücklicher und froher fühlen, als Deine Aenni, mein lieber, lieber Schatz. Sonnabend oder Montag tönt es mir immerfort in den Ohren und vor Jubeln und Seligkeit kann ich keinen richtigen, vernünftigen Gedanken mehr denken. Ich hatte mir vorgenommen, in dieser letzten Woche noch so viel wegzuarbeiten, wozu ich vielleicht später durch Deine Anwesenheit nicht gekommen wäre, allein es bleibt bei dem guten Willen; die innere Unruhe und Aufregung läßt mich bald dies, bald jenes ergreifen, ohne etwas zu vollenden. Ich suche Zerstreuung und besuche meine Bekannten, die später doch vernachläßigt werden und Allen verkünde ich mein nahes Glück; – aber zur Ruhe komme ich dadurch doch nicht. Selbst jetzt an Dich zu schreiben, fällt mir schwer; jedes Wort scheint mir zu kalt und nicht fähig, meine wahren Gefühle auszudrücken. Daß Du ebenso fühlst, tröstet mich und der Gedanke: der Erni muß sich ja auch in den letzten Tagen zusammennehmen, bindet etwas meine Ungeduld, die ja bald ganz gehoben sein wird. Gestern Morgen erhielt ich endlich Deinen letzten Brief aus Paris, den ich seit Freitag vergebens mit heißer Sehnsucht erwartet hatte. Dennoch habe ich es nicht, wie die Alten gemacht, die sich gleich Deinetwegen ängstigten und Dich wer weiß wie krank glaubten. Das erklärt Dir denn auch ihr Angstbrief, der Dir vielleicht die letzten Tage in Paris noch schwerer gemacht hat, als sie es schon ohnehin durch die tiefe Sehnsucht, das Heimathsverlangen || für meinen lieben, treuen deutschen Jüngling waren. Doch das liegt Alles schon in der Vergangenheit, die jetzt mit einem Male für mich zusammenschrumpft. Wenn Du diese flüchtigen Zeilen lies’t, bist Du im reizenden Bonn, wo Du dem Rhein und dem malerischen Siebengebirge einen herzlichen Gruß von Deiner Braut bestellen mußt, ebenso allen lieben Bleeks und allen Menschen, die sich meiner vom vergangenen Sommer noch erinnern. Meine Freude war groß über den gestrigen Brief; namentlich, daß Du mit Max Schultze gemeinsam die Schätze Paris’ durchwühlen konntest, mit dem Du vermutlich auch nach Bonn zusammen reis’t. Auch Dein reges politisches Intereße und die Parallelen zwischen dem französischen und deutschen Volk haben mich ungemein intereßirt; nicht minder den lieben Alten, dem ich gleich den Brief brachte und den beiden glücklichen Eltern vorlas, die meinem Beispiel folgen und kaum ihre Ungeduld bemeistern können. Du mußt ganz stolz darauf sein, wie sich Alles auf Dich freut und kannst es auch mit vollem Recht, denn wenn Irgend Jemand reiche und volle Liebe verdient, so ist’s Dein edles, treues, wahres deutsches Herz, das nichts von seinem Adel, seiner Tiefe und Innigkeit in der Fremde eingebüßt hat. O wie bin ich dem lieben Gott so dankbar, daß Du köperlich und geistig gesund der Heimath zueilst, die Du im schönen, farbenreichen Süden, unter dem ewig blauen Himmel, bei den köstlichen Schätzen desa reichen Meeres nicht vergeßen hast, sondern freudig und glücklich ihr entgegen eilst. Du findest aber auch viel Menschen, die Dich herzlich willkommen heißen, vor Allen Dein treues, deutsches Mädchen, das nur in Dir sein Lebensglück findet und wahr und innig Dich liebt, wie nur jemals ein Mädchen geliebt haben kann. Wie sollte sie denn || da nicht jubeln und frohlocken, wenn sie nach 5/4 Jahren des Entbehrens und der Trennung den Geliebten wiedersehen soll, der noch ebenso von ihr denkt, wie er damals von ihr gedacht hat. O, Erni, mir fehlen alle Worte, Dir meine Wonne zu schildern, drum ist es beßer, ich breche ab und laße in nicht mehr acht Tagen meine Augen, meinen Mund für mich sprechen; das ganze Gesicht wird Dir sagen, was Deine Aenni fühlt und denkt. Die gute Frau Weiß gehört auch zu denen, die sich aufrichtig auf Deine Rückkehr freuen. Gestern Nachmittag war ich zwei Stunden bei ihr und habe ihr aus den Pariser Briefen vorgelesen, die ihr sehr gefielen und abermals schüttete sie mir ihr volles Herz über Dich gegen mich aus, was denn bei mir dieselbe Wirkung hatte; ich jubelte ihr so viel von meinem unaussprechlichen, seltenen Glück vor, als was sie unser Verhältniß auch ansieht, daß ihr Gesicht auch lauter Freude und Lust war und dazu schmetterte ihr Kanarienvögelchen so laute und jauchzende Töne heraus, daß es eine wahre Lust war. Der Himmel scheint sich auch mit uns zu freuen, denn nach trüben, regnerigen Tagen scheint gestern und heute die Sonne strahlend und warm. Frühling verkündet sie und was das für mich sagen will, weißt Du. Der Thiergarten legt auch schon sein Feierkleid an, um seinen Liebling würdig zu empfangen und jedes grüne, hervorkeimende Blättchen scheint mir Willkommen zu rufen. Ja Willkommen, Du lieber, lieber Herzensschatz, willkommen in der Heimath, bei den lieben Eltern und Freunden, willkommen, herzlich willkommen im trauten grünen Stübchen, Deiner treuen glücklichen Aenni, der Du Leben, Gesundheit, Frische und Jugend wiederbringst aus dem duftigen Süden, die stolz ist auf ihren deutschen Jüngling ist [!] und stolz ist, sich nennen zu dürfen Deine

glückliche, treue, unveränderte Aenni.

Mutter grüßt Dich 1000 mal. ||

An Ernst

a korr. aus: sicher

 

Briefdaten

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.04.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34499
ID
34499