Anna Sethe an Ernst Haeckel, Bonn, 11. – 17. August 1859

Bonn d. 11. 8. 59.

Dr. Binz, mein lieber Erni, will diesen Brief und das Buch von Lewes: Naturstudien für Dich mitnehmen, das nach einer Kritik in der Nationalzeitung mir sehr paßend für Dich erschien; ich habe Einiges darin gelesen und hoffe es noch zu beendigen, ehe es zu Dir gelangt, und ich muß sagen, daß es mich sehr intereßirt hat, um so mehr, da es in der Manier geschrieben ist, wie ich sie mir von Dir einmal möglich denke. Neben den zoologischen, wißenschaftlichen Intereßen, die den Fond des Buches bilden, gibt er sehr lebendige Naturschilderungen und warme Charakterbilder der Bewohner des Landes a, so daß man mitten darunter ist, gerade wie Deine Briefe aus Italien, die mich immer zu meinem lieben Schatz unter den südlichen Himmel zaubern. Nach Deinem letzten Brief, Du gute Seele, wollte ich mich gestern Morgen eben hinsetzen und schon zum Sonntag anfangen zu antworten, als Dr. Binz gemeldet wurde, der mich im Morgenanzug, meinen Finger in einem Näpfchen warmen Waßers haltend, gesehen hat. Er wollte mir viel von Dir erzählen, was ich Alles schon wußte, und doch ist es mir immer eine so große Freude, persönlich von Dir zu hören und in den || Augen desjenigen, der mit Dir zusammen war, zu lesen, wie gern man Dich auch in Italien, fern der Heimath Deiner Liebsten hat. Freilich erwacht jedes Mal die Sehnsucht doppelt nach dem schönen Süden an Dein treues, warmes Herz, wo ich hingehöre und wo Du mir für alle Ewigkeit einen Platz zugewiesen hast. Ach Erni, wenn ich zwei noch so glückliche Leute bei einander sehe, ich meine, so ist’s doch nicht, als wenn wir Beide bei einander sind, die wir uns so ganz verstehen und so wahr Einer es mit dem Andern meint. So ging es mir heute Morgen noch, als ich Lachmanns besuchte, die wirklich einen sehr glücklichen Eindruck machen, und noch ein zartes, drittes Glied in ihrer Kette haben, ein wirkliches kleines Lachfräulein, ein kerniges, stets munteres kleines Mädchen, ganz Deines Freundes Gesicht, namentlich die Augen und sein Blick frappant ebenso. Amüsirt habe ich mich königlich über ihn, als glücklichen Papa, wie er das Kind nicht vom Arm läßt und sich prächtig mit ihm zu beschäftigen weiß. Übermorgen reisen sie nach Berlin, bleiben unterwegs ein paar Tage bei seinen Eltern in Braunschweig; im September erwartet sie ihre Entbindung bei den Eltern und denkt Ende Oktober hierher || zurückzukehren, während er am 3 Oktober wieder hier sein muß zum Beginn der Mädchenschule der Frl. v. Kreifeldt, an der er Physik, Botanik und Zoologie gibt; seine Lehrstelle am landwirthschaftlichen Institut sagt ihm sehr zu, obgleich er hofft nicht für immer in diesem Specialfach beschäftigt zu sein. Er war gestern Nachmittag ein paar Stunden bei uns und verplauderte ein paar heftige Gewitterstunden auf sehr angenehme Weise mit uns. Sie fühlen sich sehr wohl, ich meine angenehm hier in Bonn und wohnen in der Webergaße mit einem hübschen Garten beim Hause. Sie hat sich sehr verändert, ist sehr schmal und blaß geworden. Beim Profeßor Schultze ist vorgestern der dritte Junge angekommen. Lachmann sagte mir, daß er sehr glücklich sei, in ihm jetzt einen Fachgenoßen hier zu haben, mit dem er sehr harmonirte. Ich schreibe heute größer und weitläufiger, wie sonst, weil es sonst beim schlimmen Finger sehr unleserlich wird, der übrigens seit zwei Tagen sich merklich beßert. Theodor trägt mir eben herzliche Grüße für Dich auf und bittet mich, Dir zu bestellen, daß Du ihnen sehr dankbar sein müßtest für die Austreibung meiner Unarten, die in Strömen aus mir flößen. So arg ist es nun freilich nicht; jedoch hätte ich es kaum für möglich gehalten, daß ein Finger so viel || Materie in sich beherbergen könnte, wie mit Hülfe von Hafergrützumschlägen, tüchtigem Drücken und viermaligem Schneiden des Dr. Wolf, schon herausgekommen ist; dazu ward das wilde Fleisch oder wie man es nennt mit Höllenstein geätzt, da hast Du das ganze achttägige Leiden Deiner Aenni, deßen empfindliche Schmerzen ihr zwar meist die Nachtruhe gekostet haben, die ihr aber immer noch nicht den guten Humor und frischen Muth genommen haben, mit dem sie einer Naturforscher-Braut alle Ehre gemacht hat. Schade daß Du mit Deiner hübschen Verbindetasche mich nicht kuriren konntest. Bis hierin hatte ich heute Nachmittag nach dem Eßen in Onkel Bleek’s Zimmer geschrieben, das zufällig von Theodor und Johannes nicht besetzt war. Du glaubst nicht, wie unruhig hier das Haus ist, und wie tausend Mal man durch Besuch oder Gespräche mit Diesem oder Jenem unterbrochen wird, das Briefschreiben fast unmöglich ist, was Du meinen letzten Briefen auch angefühlt haben wirst; ich setze mich drum jetzt 11 Uhr Abends noch hin, nachdem Alles zu Ruhe ist und plaudere, so lange der Finger und die müden Augen es gestatten. Habe ich doch eben so viel Deinen Namen in meinem Herzen gerufen und mich so an Deine Seite gewünscht, als ich im Garten auf der Mauer stand, den lichten, klaren Mond über mirb, die Gegend in Nebel-||schleier verhüllt und dem schönen ernsten in nicht zu weiter Ferne von Studenten kräftig gesungenen Liede: „Es saßen drei alte Burschen“ etc. zuhörend. Vorher war ich mit Theodor am Rhein, um Philipp um 8 Uhr vom Dampfschiff abzuholen, der leider wieder seit Dienstag immer vergebens von Buenos Aires, direkt von London und Amsterdam erwartet wird. Anfangs war ich aber nicht am Rhein: das Siebengebirge lag in duftigem Nebel und der Mond, der liebe, blaße, treue Freund, schlug eine goldene Brücke über den grünen Spiegel bis zu mir herüber, auf der ich Dich erreichen zu müßen glaubte und träumerisch schaute ich in die duftige Ferne, die auch gar nicht näher rücken will. Zum Träumen scheine ich auch jetzt beßer zuc paßen, als zum Wachen; gute, süße Nacht denn; so viel, wie möglich werde ich morgen früh noch zuschreiben, wenn Binz nicht gar zu frühe kommt. Guten Morgen, lieber Erni, ich habe köstlich geschlafen und so süß, so süß von Dir geträumt, daß ich beim Erwachen die Nacht noch länger gewünscht hätte, um ungestört mit Dir zusammen sein zu können. Es regnet in Strömen, was nach der langen Dürre sehr wohlthuend ist. || Ich bin sehr in Sorgen um meine Schwester Helene, die in Heringsdorf und nicht einmal in „Wald und See“, sondern in einem Hebahmschen Hause in Neuhof am 7 August einen Knaben geboren hat, auf den sie erst Ende September rechnete. Ich habe nur die erste Nachricht von August vorgestern erhalten, wonach Helene sich nicht besonders matt fühlte und der dortige Dr. Wallenstedt das Kind für lebensfähig erklärt hat. Zugleich schrieb mir Mutter aus Bochum, daß sie d am 10 dort abreisen wollte und heute schon bei Helene ist, um sie zu pflegen, die ohne Kinderzeug und jegliche Bequemlichkeit dort gewesen ist. Für Mutter ist mir’s sehr leid, abermals um ihren längeren Aufenthalt bei den Schwestern gekommen zu sein, worauf sie sich schon lange gefreut hatte. Nun laß Dir von den letzten Tagen erzählen, da der Sonntag oder Montag abzuschickende Brief durch einen halben Bogen von den Alten nicht Raum genug bieten wird. Sonntag Abend ging der letzte Brief an Dich ab und Montag Morgen erhielt ich schon wieder einen neuen, für den Du einen ganz besonderen Kuß haben solltest; ich hatte gerade sehr heftige Schmerzen, als er wie ein rechter Tröster kam. || Den Morgen brachte ich meist auf und ab gehend im Garten zu, meinen lieben Brief nicht aus den Händen laßend. Nach dem Eßen, als Mrs. und Miss Andersen auf ihr Zimmer gegangen waren, las ich ihn der ganzen Familie mit einigen Auslaßungen vor, die mir sehr dankbar dafür ist. Es kam viel Besuch von jungen Mädchen, Freundinnen von Hedwig und Marie, die an dem Tage wieder sehr schwach war. Gegen Abend machten wir noch einen prächtigen Spaziergang, bei dem die Gesellschaft, uneinig über den Weg, sich theilte, wobei ich zu denen gehörte, die das beßere Theil erwählt hatten. Johannes, ein Freund von Theodor: Karl Brandes, Hedwig und ich erkletterten vor Keßenich eine Höhe und lagerten uns am Walde, den freundlichen Mond über uns und vor uns die weite, schöne Landschaft in sanften Abendfarben; im Vordergrund Bonn und der Rhein, auf dem ein Lichtchen, die Laterne eines Dampfschiffes umherirrte, im Hintergrund das immer malerische Siebengebirge und rechts zur Seite die schöne Ruine Godesberg. Eine feierliche Stille lag über der ganzen Natur ausgebreitet, die nach der Unruhe des Tages so angenehm und wohlthuend ist. Der || klare, silberne Mond war nicht weniger Veranlaßung, daß wir erst um 8½ vone unserem grünen Polster uns erhoben und bei Mondschein nach Haus gingen, wo wir die Gesellschaft im Garten schon beim Abendbrod versammelt fanden und wir nachexerciren mußten. Dann folgte eine schlimme Nacht, in der ich mich nach vergeblichen Schlafbemühungen endlich entschloß im Lewes zu lesen, bis ich von 3–5 Uhr einschlief. Von den größten Schmerzen wurde ich Dienstag Morgen durch einen tiefen Schnitt erlös’t, wonach ich mir durch Extraschlaf zu gute that. Nachmittag machten Hedwig, Anna, Auguste Stein, Helene Spiritus, Theodor und ich, nachdem zu Mittag ein starkes Gewitter und wolkenbruchähnlicher Regen, von Hagel begleitet, die Luft abgekühlt hatte, einen schönen Spaziergang nach dem Kreuzberg; auf dem Wege dahin sammelte ich hier meine ersten Feldblumen und war oben ganz entzückt über die schöne Aussicht auf Bonn, Siegburg und die umliegenden Dörfer, auf die die eben untergehende Sonne grelle, vortheilhafte Streiflichter warf. Deutsche Volkslieder singend traten wir den Rückweg an durch das Dorf Lengsdorf, wo zufällig Kirmeß war, wobei ich Gelegenheit hatte, den von unserer nordischen || Bevölkerung so sehr verschiedenen harmlosen, heiteren und ländlicheren, einfacheren Charakter der Rheinländer zu beobachten, die theils in einem großen Hofe an Tischen saßen und Bier tranken, theils in einem anstoßenden Zimmer bei Musik tanzten, wozu wir von den sogenannten „Reihjungens“ dringend aufgefordert wurden. Verschiedene Buden hatten sich wie bei unseren Jahrmärkten auch eingefunden, in denen wir um einen Pfefferkuchen würfelten und Marie ein Groschenspielzeug heimbrachten [!]. Sehr vergnügt kehrten wir zwischen Kornfeldern und Baumpartien nach Bonn zurück. Mittwoch Morgen wurde abermals geschnitten; nachher erhielt ich Mutter’s und f August’s Brief. Um 9 Uhr war Dr. Binz hier, der sehr gern nach Italien zurückzugehen scheint, obgleich er, wie Du auf die Neapolitaner entsetzlich schimpft. Er sollte sich eine Frau aus Deutschland mitnehmen; mir däucht, dann ließe sich das Leben in Italien behaglicher einrichten. Vetter Rufuß war auch an dem Morgen dort vor seiner Abreise in die Heimath. Er sowohl wie ein Vetter, Lütke, den ich hier habe kennen gelernt, werden im nächsten Semester in Berlin studiren; ersterer ist auch Mediziner. Nach dem Kaffee war wieder starker Regen und Gewitter, während welcher Zeit uns Lachmann besuchte und Dich herzlich grüßen läßt und Dir reiche Beute unter den Echinodermen wünscht. Übrigens läßt er Dir sagen, recht fleißig für Max Schultze auf La Valette’s Brief zu sammeln, da eigentlich gar nichts für das zoologisch-anatomische Museum hier geschehen sei, um deßen Gründung Du Dich sehr verdient machen würdest. Als er fort war, machten Hedwig und ich noch einen Besuch bei der Frau v. Grolman, die aber verreis’t war und schöpften dann noch vor dem Thor die reine, schöne Luft ein. Donnerstag war ich Vormittags mit Hedwig bei Lachmanns. Gleich nach dem Kaffee g begleitete ich Marie in ihrem Rollstuhl nebst Theodor und Johannesh in den Baumschulengarten, wo wir in Kuchen und Wein Dich leben ließen. Von dem Abend am Rhein habe ich Dir schon geschrieben.

Mittwoch d. 17ten. Beinahe acht Tage sind dahin, seit ich diesen Brief an Dich anfing, die so reich an schönen Genüßen für mich gewesen sind, daß ich noch Bogen davon voll schreiben könnte, wenn die Zeit nicht drängte zum Abschluß, da der letzte Termin gekommen ist, Dr. Binz Buch und Brief nachzuschicken, das ich mit wachsendem Intereße und Verständniß gelesen habe. Gestern habe ich den ganzen Tag in Köln zugebracht, von wo wir per Dampfschiff um Mitternacht beim schönsten Mondschein begeistert heimkehrten; der nächste direkte Brief wird voll davon sein. Den ganzen Tag über dachte ich, ach wenn ich doch einen Brief von Ernst fände und noch Abends auf dem Dampfschiff sprach ich zur Hedwig aus die Krone des schönen Tages würde || ein Brief vom Schatz auf meinem Tisch sein. Nichtsdestoweniger enthielt man mir einen wirklich vorgefundenen Brief von Dir vor, weil Tante Auguste 1 Uhr spät genug für mich zum zu Bettgehen hielt und meint Du würdest ihr dankbar dafür sein. So hat mir denn Theodor eben (6 Uhr Morgens) den lieben, lieben Brief eingehändigt, deßen sehnsüchtiger Inhalt gestern Abend ganz in meine Stimmung gepaßt hätte, wo der Gedanke an Dich mich ohnehin sehr spät einschlafen ließ. Wie freue ich mich mit Dir, daß Du wieder mit einem so liebenswürdigen Menschen wie der Dr. Gjertsen zusammen gewesen bist, Ihr Beide in derselben Lage und ähnliche Bräute besitzend, da kann ich mir denken, wie das volle Herz übergefloßen ist und wie unser Plan nach Norwegen neue Stützen erhalten hat. Daß Du Dich wegen der pelagischen Fischerei jetzt in Capri so verrechnet hast, thut mir sehr leid, obgleich Deine Schöpfungen in diesen vier Wochen für mich genußreicher und ersprießlicher sein werden. Was werden meine Augen Alles zu sehen bekommen, wenn sie noch sehen können, nachdem sie Dir wieder in das liebe Gesicht geschaut haben. Ich hoffe Dr. Binz kommt noch früh genug nach Neapel, um Dir selbst den Brief übergeben zu können. Widrigenfalls schreibe ich ihm Deine Adreße nach Messina, wohin er es nachschicken kann. Ich werde Sonntag den direkten Brief noch nach Neapel adreßiren. Heute noch vom vergangenen Freitag, wo der Dr. Lachmann unsern Mentor machte. Morgens um 9 Uhr gingen wir zu 5 Personen nach Poppelsdorf zum landwirthschaftlichen Institut heraus, wo Dein Freund uns die verschiedensten Zuchtbienenkörbe zeigte, aus denen ich den Bau der Waben von Anfang an bis zu ihrer größten Ausdehnung verfolgen konnte und die 3000 Bienen bei der Arbeit betrachten konnte, wie Einige mit Blüthenstaub, Andere mit Honig heimkehrten. Manchmal verirrte sich eine Biene und wurde dann unbarmherzig von den Wachthabenden Bienen vor dem kleinen Thore ihres Standes aufi grausame Weise verfolgt oder getödtet. Auch die Wiege der Königin, die sehr künstlich wie eine Eichel an der Seite der Wabe gearbeitet ist, sowie die productive Königin selbst, habe ich deutlich gesehen. Ich mußte lebhaft dabei an den Vogtschen Bienenstaat denken, der nach Lachmanns Urtheil sehr viel Unrichtigkeiten enthält. Um 11 Uhr war Lachmann anderweitig beschäftigt, weßhalb wir nach einem flüchtigen Blick auf seine inländischen ausgestopften Vögel heimkehrten. Um 1 Uhr kam Philipp an, den ich recht wohlaussehend fand; jedoch hustet er fortwährend und wirft aus; Sonnabend Vormittag sogar wieder etwas Blut, was seine Stimmung begreiflicher Weise sehr heruntergeschraubt hat. Nach dem Kaffee säbelte er tüchtig an meinem Finger herum, in Folge deßen ich wieder arge Schmerzen hatte. Sonnabend Morgen verging mit häuslichen Geschäften und wo ich Zeit finden konnte mit Schreiben. Nach dem Kaffee las ich Hedwig aus dem Lewes köstliche Charakterbilder eines Engländers und einer Engländerin vor, die || von einem Engländer mit wunderbarer Aufrichtigkeit geschildert sind. Überhaupt ist er sehr von den Deutschen eingenommen, was auch aus dem Leben Goethes schon hervorging. Zum Abend waren Theodor, Hedwig und ich bei Ostermanns, mit deren Töchtern Hedwig besonders befreundet ist. Binz ist mit ihnen verwandt, von dem sie auch schon viel über Dich gehört hatten. Vorher besuchten wir noch den alten Arndt, der mir, wie ich voraussetzte, sehr gefallen hat. Ein Greis von 89 Jahren, ist er seinem lebendigen Intereße für Jeden, für Geschichte, Literatur namentlich Länder und Völker (sein Steckenpferd), seiner Heiterkeit, Kraft und Frische nach wirklich ein Jüngling: Er macht noch Touren von 5 Stunden zu Fuß und badet täglich im Rhein, welches Vergnügen ich noch nicht einmal kennengelernt habe beim unnützen Finger. Ich fand ihn im blau – leinen Kittel sitzend vor seinem Hause mit schöner Aussicht auf den Rhein und das Siebengebirge. Augenblicklich merkt man ihm die kernige deutsche Natur an, die mich natürlich lebhaft an meinen deutschen Jüngling erinnerte, von dem ich ihm viel erzählt habe. Der Abend bei Ostermanns war sehr gemüthlich; außer uns war noch eine Frl. Hoffmeister, Bekannte der Marie, auch eine Braut, die am 12 September heirathet, dort; wir plauderten bis 11 Uhr und gingen dann, den Vollmond über uns, nach Haus; die Bäume im Hofgarten und der alte Münsterthurm in der || Nähe des Bleekschen Hauses waren prächtig beleuchtet. Sonntag Morgen war ich früh in der Kirche und beendete dann meinen letzten Brief an Dich. Inzwischen war Besuch aus Köln hier eingetroffen, zwei Fräulein Dünweg, die im Bleekschen Hause sehr bekannt sind, und die bis zum Abend bei uns blieben. Wir saßen den übrigen Vormittag im Garten und machten nach dem Kaffee einen Spaziergang am Rhein entlang, wo ich die größte Lust hatte, Kahn zu fahren, und die Koblenzerstraße zurück. Hier überließen Hedwig und ich die Übrigen ihrem Schicksal und besuchen Frau Frank und Tochter. Wir saßen ein paar Stunden bei ihnen in einer großen mit Epheu bewachsenen und Farrenkräutern und Moosen bepflanzten Grotte mit derj Aussicht auf den Rhein und tranken dort Thee, während ein gewaltiges Gewitter mit furchtbaren Donnerschlägen und heftigen Regengüßen herunterkam. Zum Abendbrod waren wir wieder zu Haus; Louise Frank und ihr kleinerer Bruder begleiteten uns, mit denen wir später mehrstimmige Volkslieder sangen; Louise Frank selbst trug ein paar Lieder sehr schön vor, wobei in mir wieder etwas Neid erwachte. Von dieser Woche erzählt Dir mein nächster Brief; die Zeit ist um und ohnehin muß ich heute noch an Deine Eltern, Mutter nach Heringsdorf und Heinrich schreiben, der eigentlich heute an seinem Geburtstag den Brief schon in Händen haben müßte. Leb wohl, lieber Schatz, innigen Gruß und Kuß für Deinen Brief vom 7ten, auf den ich nicht habe warten brauchen. Immer Deine

Aenni

a gestr.: gibt; b eingef.: mir; c korr. aus: zum; d gestr.: gestern; e eingef.: von; f gestr.: Helene’s; g gestr.: fuhr ich mit; h eingef.: und Johannes; i eingef.: auf; j korr. aus: dem

Brief Metadaten

ID
34466
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Zielort
Zielland
Italien
Datierung
17.08.1859
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
12
Umfang Blätter
6
Format
22,0 x 14,2 cm; 28,4 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34466
Zitiervorlage
Sethe, Anna an Haeckel, Ernst; Bonn; 17.08.1859; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_34466