Anna Sethe an Ernst Haeckel, Bonn, 2. August 1859, mit Nachschrift von Hedwig Bleek

Bonn d. 2. 8. 59.

Sei mir nicht bös, mein lieber Herzensschatz, wenn Du diesen Brief vielleicht noch später erhältst, wie überhaupt meine Briefe, die viel unregelmäßiger anzukommen scheinen, als Deine an mich. Die letzten Tage in Berlin waren aber mit Besorgungen, Packen und Wegkramen für die lieben Alten so besetzt, daß ich keine freie Minute für mein Lieb finden konnte, trotzdem ich stets bis 1 Uhr aufblieb und um 4½ Uhr wieder auf den Beinen war. Seit gestern Morgen bin ich in dem reizenden Bonn. Ehe ich Dir von der Überfahrt und kurz den Erlebnißen der letzten Woche in Berlin erzähle, hab tausend Dank für Deinen letzten Brief, den ich, ganz wie ich vermuthete, gestern hier erhalten habe. Danach bist Du die letzten vierzehn Tage in Sorrent und Amalfi gewesen, wogegen ich Dich auf Capri vermuthete, das jetzt meinen lieben Erni birgt; besondern Dank für die specielle Karte, auf der ich Deine herrlichen Plätzchen und Umgebungen weit beßer verfolgen kann, als auf meiner übrigens guten Karte von Italien u. Sicilien, die mich auf Reisen begleitet hat. Wie Du prächtig für mich und mein immer innigeres Leben mit Dir in weitester Ferne sorgst, ist mir gar zu lieb und erleichtert mir die Trennung von Dir ungemein, die manchmal centnerschwer auf mir lastet, durch Deine lieben lieben Briefe aber momentan vergeßen wird. Schicke Deine Briefe immer ferner hierher; ich besorge sie von hierher direkt an die Alten nach Töplitz, wie ich noch heute Deinen gestrigen Brief ohne die Karte hinschicken werde, welche ich erst zusammenstellen und aufkleben möchte.

Montag d. 24 schickte ich den letzten Brief an Dich ab, am Vormittag brachte ich ihn selbst auf den Potsdamer Bahnhof und half dann Helene noch ein paar Stunden packen, die Tages darauf Montag Morgen mit den beiden Kindern nach Heringsdorf abgereis’t ist. Zu Mittag hatten wir den seltenen Genuß, Frau Sleevogt und Sohn bei || uns eßen zu haben, mit welcher ersteren ich nach dem Kaffee bei vollem Regen nach der Mägdeherberge auf dem Verlorenen Weg fuhr, um dort Unterkommen für die Köchin während der Abwesenheit Deiner Eltern zu suchen, was denn auch gelang. Zum Thee blieb Frau Slevogt auch noch dort, zur Erholung lasen wir noch Grube zusammen und ich vor dem Schlafen noch einen Brief von Dir. Montag Morgen kam der Brief über Bonn an, wieder voller Begeisterung über Ischia, die ich vollkommen theile. Besonders gefallen hat mir die enge Annathalähnliche Schlucht mit den schönen Farren und Blumen, auf die ich mich sehr freue. Was wird das wieder für ein Herbarium werden, einiger Ersatz für Dein zerstückeltes, das freilich, wenn auch mir eigenthümlich immer noch zu Deinen Schätzen rechnet. Vor meiner Abreise habe ich in meine herrlichen Blumen noch einen Blick geworfen u. dann wohl verwahrt. Liebchen, nicht wahr, wenn Du heim kommst, darf ich Dir beim Ordnen und Kleben der Blumen helfen und Dir zuhören, wo Du sie gepflückt und Alles Schönes um sie herum gesehen hast. Liebchen, manchmal macht mich der Gedanke des Wiedersehens vor Glück schwindeln, wie selig wirst Du, werde ich sein, wenn wir uns wieder haben! Halb ist die Zeit überstanden, die andere Hälfte wird auch vorüber gehen und dann läßt Du Deine Aenni nicht wieder allein. Auch die verschiedenen Excursionen nach dem Grajula haben mir sehr gefallen und erscheinen mir höchst verlockend. Im nächsten Briefe werde ich von Sorrent oder Amalfi hören; ich verspreche Dir, mich nicht zu ängstigen, wenn über acht Tage nicht pünktlich ein Brief dort ist, ich zehre dann immer noch an den Ischiabriefen und habe doppelte Freude, wenn der nächste Brief kommt. Ich ging noch im Laufe des Vormittags zu Tante Bertha, und las ihr sämmtliche Briefe über Ischia vor, und beförderte Nachmittags die beiden letzten Briefe nach Freienwalde, damit Karl, den wir Mittwoch er-|| warteten, sie mir wieder mitbringen konnte. Abends las ich eine Biographie Scharnhorst’s von Schmidt-Weißenfeld vor, die wir Sonnabend noch glücklich vor der Abreise beendigt haben. Sie ist sehr gut geschrieben und schildert den Scharnhorst, den Gründer der Landwehr als echt deutsche kernige Natur, wie ich eine solche ganz gründlich kenne. Dienstag u. den nächst folgenden Tag hatten wir Schneidereivergnügen, wobei ich nach Besorgung der häuslichen Geschäfte den ganzen Tag helfen mußte; vor Tisch auch noch mehrere Besorgungen machte und dabei stickige Stadtluft zu kosten bekam. Abends zum Thee fand sich August ein, der Strohwittwer ist. Mittwoch Morgen erhielten wir statt Karl, einen Brief von Hermine, wonach Karl, ihr Mann, das Scharlachfieber hatte und also nicht reisen konnte. Wir haben seitdem noch zweimal Briefe gehabt, immer mit guten Nachrichten über den Patienten, der von Anfang an nicht hat liegen brauchen und nur über angegriffene Augen klagt. Wenn nur nicht Hermine den vom Vater abgesperrten Kindern die Krankheit mit herüberbringt; das ist für Karl keine Ferienerholung, wie er sie sich in Steinspring zugedacht hatte. Mittag aß Theodor bei uns und ließ sich beim Kaffee von mir den letzten Brief über Ischia vorlesen. Deine Alte war an dem Tage sehr angegriffen und hing in dieser Stimmung wie gewöhnlich Todes- und anderen traurigen Gedanken nach, die mein frischer, heiterer Sinn ihr wieder verscheuchte. Abends las ich wieder Scharnhorst vor und träumte Nachts sehr lieb von Dir. Donnerstag machte ich in der Morgenkühle wieder etliche Besorgungen und war ein ¼ Stündchen unten bei der Mutter Reimer, wo ich Julius Sethe traf, der nun doch nicht zum 1 August eintreten braucht, und wieder auf’s Land zurückgehen wird. Mittags verzehrte Heinrich mit uns gekochten Schinken. Gegen Abend besuchte ich Anna Reimer; Tante Sack war schon in ein Ostseebad gereist, || und Klärchen Mollard, der sowie ihrem Manne der Winteraufenthalt in Venedig vortrefflich bekommen ist. Von da ging ich in unser Quartier, packte meinen Koffer und fuhr mit diesem zu Haus. Kaum hatte ich Abendbrod besorgt, kam Martens, der treue Freund, und ließ sich von mir die drei letzten Briefe über Ischia vorlesen, die ihn sehr intereßirten. Für den Brief von Acton, der voller Lob über Dich ist, läßt er herzlich danken. Er wird in den Ferien zu Haus reisen, worauf er sich natürlicher Weise sehr freut. Schon Vormittag hatte ich den Vorleser machen müßen beim Doktor Schneider, der eine Stunde bei uns war und sich viel von Dir erzählen und die beiden Vesuvexcursionen vorlesen ließ, die ihn momentan wieder ganz in Italien hineinversetzten und schöne, wenn auch nicht so reiche Rückerinnerungen feiern ließ, wie Du sie haben wirst; da er den Vulkan nicht in Thätigkeit gesehen hat. Mich intereßirte sehr, daß er Deinen Freund Allmers auch kannte; ich weiß aber nicht mehr, wo er mit ihm zusammengetroffen ist; ihm scheint er im Ganzen nicht so gut gefallen zu haben, wie Dir; er hätte ihm zu viel Verse citirt; ich gebe auf dieses Urtheil freilich nicht viel, da er ihn doch nur flüchtig in Gesellschaften gesehen und sich nicht so tagtäglich mit ihm eingelebt hat, wie Du, wo man gewiß bald einen Menschen kennen lernt. Er ist im Winter verschiedentliche Male zu den verschiedensten Tageszeiten bei Deinen Eltern gewesen, ohne jemals Deinen Vater gefunden zu haben; die Alte war ja krank damals. Dann, nachdem er seine Vorlesungen begonnen hat, sei er nicht mehr gekommen. Er hat mit Glück docirt und ein zahlreiches Auditorium gehabt, das mit der Mobilmachung in alle Winde zerstreut ist. Er wird die Ferien über bei einem Freunde auf dem Lande sich erholen, was er mir auch sehr nöthig zu haben schien, denn er sah elend aus u. läßt Dich herzlich grüßen. ||

Freitag Vormittag verging mit vielem Wegkramen und Ordnen im Haus zur bevorstehenden Abreise, die mich gegen Mittag denn auch noch einmal in die Stadt trieb. Zu Mittag aßen die Alte und ich allein, während Onkel bei Tante Bertha mit dem Kapitän, mit dem Philipp und Theodor nach Amerika übergefahren sind und einem anderen Amerikaner zu Mittag aß, die ihm Beide recht gut gefallen haben, namentlich der Kapitän, eine kernige, offene Natur. Ich traktirte uns auf Specksalat und Eierkuchen, von dem ich mir wünschte, Du hättest ihn mitgegeßen. Beim Kaffee erschien August, der gute Nachrichten von Helene bekommen hatte, die [in] unserem Hause nach dem Wald heraus wohnt und mit Wonne in der See badet. Wenn mein Finger wieder gut ist, werde ich Morgens um 6 Uhr die Mädchen in den Rhein begleiten. Diesem hast Du auch einen sehr unleserlichen Brief zu danken; obgleich es der Zeigefinger der linken Hand ist, der sich so schlecht aufführt, so will es mit dem Schreiben nicht recht gehen, da ich, nachdem ich sein Stechen und Hämmern unberücksichtigt gelaßen habe ein paar Tage, ihn jetzt in warmesa Seifwaßer halte. Um 5 Uhr kam Frau Weiß, die Tages zuvor aus Eger und Elster zurückgekommen war, nach einer dreiwöchentlichen Abwesenheit. Sie war freundlich und herzlich wie immer und konnte sich nicht genug von Dir erzählen laßen und hat mir herzliche Grüße für Dich aufgetragen. Am Abend war Herr Horn bei Deinem Vater, wir ließen uns verläugnen, um allein sein zu können, da es vor der Abreise noch Allerlei zu besprechen gab. Sonnabend packte ich dann; nahm früh noch ein warmes Bad und verabschiedete mich von Jacobis. Am Mittag stand Alles gepackt, bis auf Kleinigkeiten von mir. Wie viel habe ich dabei an unser Packen im Januar gedacht! Quincke brachte noch einen langen Zettel Verhaltungsregeln für Deine Mutter, die sie hoffentlich befolgt; sie soll Morgens 2–3 Glas Marienbader trinken, weil sich fortwährend Blutgeschwüre bei ihr zeigen, zwischen 11–12 Uhr im Neubade baden. Ich denke, || das wird der Alten gründlich wieder aufhelfen, da ihr die täglichen Sodabäder im Hause schon sehr gut gethan haben. Nachmittag um 4 Uhr kam Tante Bertha, die bis nach dem Abendbrod blieb. Ich mußte leider zwischendurch noch eine Stunde fort, um meine zurückbleibenden Sachen von der Wilhelmstraße nach dem Hafenplatz zu transportiren und meinem Zimmer und den Blumen auf einige Zeit Lebewohl zu sagen. Dann waren wir noch eine Stunde gemüthlich zusammen, bis Tante Bertha abfuhr. Bis nach 11 Uhr lasen wir dann noch den Scharnhorst fertig und dann b hätte ich Dir gern noch den letzten Gruß aus Deinem Zimmer, in dem ich beinah 5 Wochen gewohnt habe, geschickt, allein ich fand noch Allerlei zu ordnen und wollte gern noch eine Arbeit für Hedwig beendigen, an deren Geburtstag ich hier gestern ankam, so daß es 1½ Uhr wurde, ehe ich in’s Bett kam, das ich für die nächste Nacht ganz entbehren sollte. Dabei schlief ich sehr unruhig und war schon um 4 Uhr wieder auf den Beinen, der Morgen verging ruhig noch mit Kramen und Anordnen, ohne daß ich zum Schreiben kam. Tante Bertha schickte noch nach mehreren Sachen, Heinrich kam, Theodor war etwas dort [!] um 1 Uhr machte ich mich noch auf, Georg Reimers und Naumanns Adieu zu sagen; richtete mich aber so ein, daß ich bei Letzteren gerade um 1¾ Uhr war, um gleich wieder nach Haus eilen zu müßen. Heinrich aß mit uns Mittagbrod und trank mit uns Kaffee; dann machte er Frau Kockerill und ihrer Nichte Frl. Freitag Platz, die Deine Eltern besuchten. Zu meiner großen Freude gehen Beide in nächster Woche auch nach Töplitz, so daß die Alten doch Bekannte dort finden. Ich bin begierig, ob sie im Neubade Unterkommen gefunden haben, was mir nach allen Erkundigungen für die Mutter am angenehmsten und Bequemsten [!] erschien. Um 6 Uhr brachte mich der gute Alte auf den Bahnhof, wo ich ganz guten Platz in einem Nichtrauchcoupé fand. Schwager || August war auch auf dem Bahnhof und brachte mir Chokolade und andere Erfrischungen für unterwegs, die mir in dem heißen stickigen Coupé recht gut thaten. Bis Hannover fuhr ich nur in Gesellschaft von zwei gemüthlichen westphälischen Damen, die, nachdem sie sich gründlich restaurirt hatten, ausstreckten und meist schliefen, was mir nicht gelingen wollte. Lesen war bei der dunkel brennenden Lampe auch nicht möglich, so daß ich ohne jegliche Gene von Außen meine Gedanken zu Dir wandern laßen konnte. Ich fuhr übrigens in sehr vornehmer Gesellschaft; der Prinz von Preußen fuhr nämlich bis Deutz mit, um nach Koblenz zu gehen und wurde trotz der Nacht und anhaltenden feinen Regens auf allen Stationen, an denen der Courierzug hält, laut und begeistert von den Volksmenge und den dazu verpflichteten Militär- und Civilbehörden begrüßt. In Potsdam fand ich die ganze Sethensche Familie auf dem Bahnhof, die mir Grüße und Briefe nach Bonn mitgab; Onkel Julius empfahl mich dem Schaffner und gab mir einen Empfehlungsbrief an sämmtliche Bahndirektionen mit, im Falle ich Hülfe oder Schutz nöthig hatte, der aber ruhig in meiner Tasche stecken geblieben ist. Außerdem sah ich bei dieser Gelegenheit auch Prinz Friedrich Wilhelm, Victoria und den kleinen Prinzen, ein kräftiges, rundes Kind. Der Durst quälte mich unterwegs sehr, so daß ich fast überall trinken mußte. In Hannover vermehrte sich meine Gesellschaft um 4 Franzosen, die nichts weniger, als angenehm waren: 2 Herrn und 2 Damen, deren Beziehung zu einander ich noch nicht habe ergründen können. Sie schwatzten in ihrer lebhaften Weise unaufhörlich, so daß, wenn ich vorher nicht hatte schlafen können, jetzt gar keine Rede davon war und ich mich im Stillen über ihre Dummheit und Unkenntniß der Länder und Herrscher außer Frankreich amüsirte; sie fuhren nach Paris, wo sie am Abend hinkamen. || Sobald der Morgen graute, nahm ich meinen Michelet vor und las ein paar höchst geistreiche Aufsätze über das Insekt, dem er entschieden eine Seele zutraut, wie es ja auch Deine Ansicht ist. Bald hinter Minden wird die Gegend sehr schön; man sieht bei jedem Schritt weiter sich mitten in Deutschland; üppig fruchtbarer Boden von Flüßen und Bächen durchzogen wechseln mit schönen kräftigen Eichwäldern ab, im Hintergrund durch Berge: das Wesergebirge abgegrenzt, an denen die Morgennebel in duftigem Blau aufsteigen; bald drang die Sonne durch und färbte die ganze Natur. Um 8 Uhr war ich in Deutz, schon von Weitem den Kölner Dom erblickend; nach langem Warten auf das Gepäck wegen der vielen Sachen des Prinz-Regenten, fuhr ich nach Köln über den Rhein fort, auf dem alle Schiffe, wie die Häuser auf dem ganzen Wege geflaggt hatten. Die ungeheuere Breite des Rheines imponirte mir ungemein; sonst hat mir meine Vaterstadt beim Durchfahren keinen angenehmen Eindruck gemacht, wie ich auch ganz darauf vorbereitet war. Um 9½ Uhr fuhr ich von Köln weiter nach Bonn durch reizende Gegend hindurch; in der Ferne schimmerte das Siebengebirge und schöne Villen und alte Ruinen paßirte ich schon verschiedene. Leider war ich nach der unruhigen Nacht so müde, daß trotz herrlicher Gegend die Augen von Zeit zu Zeit zuklappten. In Bonn fand ich Hedwig, das Geburtstagskind auf dem Bahnhof und hatten wir Beide große Freude am gegenseitigen Wiedersehen. Wir gingen zu Haus, wo Niemand außer Tante Auguste etwas von meiner Ankunft wußte; da kannst Du Dir die Überraschung denken. Marie ist entsetzlich mager, blas und fahl geworden, hustet etwas aber nicht viel, klagt aber sehr über Beklemmungen. Tante Auguste leidet wieder sehr an Beklemmungen; Auta ist alte Jungfer nach wie vor; Hermann und Anna sind frisch, und die liebe Hedwig auch, Johannes ist breit und stark geworden und sieht eben falls wohl aus. Außerdem || sind hier jetzt zwei junge Mädchen: Auguste Stein, ein sehr lebendiges, angeregtes Gemüth, und Helene Spiritus in Pension, sowie Missess Andersen und Tochter, mit denen ich auch hin und wieder herzlich parlire und von der guten Uebung profitire. Sie sind nur zu den Mahlzeiten, nach Tisch noch bis zum Kaffee und Abends bis zum Schlafen mit uns zusammen und ganz liebenswürdig. Nachdem ich etwas gefrühstückt und mich durch Waschen und Umziehen erquickt hatte, setzte ich mich in den Garten und wand für die Hedwig einen Kranz, der noch vor Tisch mit andern Sachen ihr aufgebaut wurde. Ich wurde aber vielfach dabei unterbrochen durch ihre Freundinnen, die mit Blumen und kleinen Gaben zu ihr kamen, dann wurde Mittag gegeßen und nachdem ich eilig ein paar Worte an Mutter auf ihre Anfrage an Tante Auguste, ob sie sie ein paar Tage besuchen könne, geschrieben hatte, legte ich mich etwas in die Sophaecke und habe ½ Stunde vortrefflich geschlafen. Demnach erwarte ich Mutter Morgen Abend hier mit dem Dampfschiff und werde dann hören, wie lange ich hier und in Westphalen bleiben werde, gar zu kurz möchte ich nicht hier sein, weil ich Bleeks wirklich sehr lieb habe und sehe, welche Freude ich ihnen auch mache. Um 4 Uhr wurde Hedwigs Geburtstag mit Chokolade und Hörnchen gefeiert, wobei zwei ihrer Freundinnen halfen. Um 6 Uhr überließ ich sie ihrem Schicksal und begleitete Marie auf ihrer Spazierfahrt im Rollstuhl, wie Tante Bertha’s, auf dem ich große Genüße gehabt habe. Sie brachte mich durch den schönen Hofgarten nach der Anatomie, von wo ich das große Universitätsgebäude übersehen konnte, dann die schöne Koblenzerstraße herunter nach dem „alten Zoll“ hinauf, wo ich überrascht und gefeßelt vonc dem herrlichen Blick auf den Rhein und das Siebengebirge lange, lange stand und nurd ungern mich trennte. So schön, namentlich in den Formen habe ich mir die Berge nicht gedacht; Drachenfels, Petersberg, Oelberg etc. stiegen vor mir auf und rechts diesseits des Rheines Godesberg und Rolandseck. Ich folgte Marie nun weiter an der Universität vorbei, die Poppelsdorfer Allee herunter, in der sie mir Max Schultzes Wohnung zeigte; ob ich sie sehen werde, ist die Frage, denn da ich die Frau gar nicht kenne, kann ich unmöglich ohne Weiteres hingehen; sollte ich ihn sehen, werde ich Deine Grüße bestellen; ebenso an Lachmanns, die ich aufzusuchen denke. Dr. Binz, der in Koblenz ist, und einen Tag hier bei seinen Verwandten war, hat sehr viel von Dir erzählt, was ich mir gern habe vorplaudern laßen. Er geht wahrscheinlich wieder sehr bald nach Italien zurück. Dann hatten wir auf einer kleinen Brücke noch den Drachenfels wie ein Bildchen im Rahmen vor uns und fuhren dann in die Baumschule, einen großen Park, wo Marie sich sehr gern länger aufhält und gewöhnlich etwas Fleisch genießt. Sie hatte durch Bekannte viel von Dr. Binz’s Reise mit Dir gehört weßhalb ich ihr hier Deine Fahrt von Livorno nach Civita vecchia vorlas. Um 8 Uhr kam Hedwig mit Frl. Stein und Spiritus uns entgegen und wir wanderten zusammen heim, ich gewiß sehr befriedigt von dem ersten Eindruck, den der Rhein und Umgebung auf mich gemacht hat. Nach dem Abendbrod saßen wir noch bis 10½ Uhr zusammen; dann war es wieder meine Absicht Dir zu schreiben, allein mit Hedwig, die mir beim nothwendigsten Auskramen half, kam ich so in’s Schwatzen, daß 12 Uhr da war wie im Umsehen und ich dann mit Rücksicht auf die vergangene Nacht mich schlafen legte: Dein vorletzter Brief über Bonn von Paris aus mir nach Berlin geschickt, muß ein einfaches Porto gewesen sein; wenigstens kostete er uns 4 Sgr. Hoffentlich bekomme ich nicht allzuspät einen Brief hierher, lieb Herz, hab’s nicht zu heiß auf Capri, bleib gesund und sieh alles Schönes für Deine glückliche Aenni mit. ||

[Nachschrift von Hedwig Bleek]

Lieber Ernst! Viele liebe Grüße u. die Nachricht, daß Anna bis jetzt sich ganz zur Zufriedenheit aufführt. Hedwig Bleek.e

[Adresse um 90 Grad nach links gedreht]

Al Signore Dottore Ernesto Haeckel

p. ad. Signore Ernesto Berncastel

Farmacia Prussiana

Largo S. Francesco di Paola No 7.

Napoli (Italia).

via Marseille.

a korr. aus: warmem; b gestr.: fertig ich; c Papierausriss; Text sinngemäß ergänzt; d Papierausriss; Text sinngemäß ergänzt; e Text weiter am oberen Rand von S. 1: Lieber Ernst! … Hedwig Bleek.

Brief Metadaten

ID
34461
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Zielort
Zielland
Italien
Datierung
02.08.1859
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
10
Umfang Blätter
5
Format
22,0 x 14,2 cm; 28,4 x 22,0 cm; Brieffaltung
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34461
Zitiervorlage
Sethe, Anna an Haeckel, Ernst; Bonn; 02.08.1859; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_34461