Anna Sethe an Ernst Haeckel, Berlin, 16./17. Juli 1859, mit Beischriften von Charlotte und Carl Gottlob Haeckel

Berlin den 16. 7. 59.

Jetzt ist für mich die glücklichste Stunde des ganzen Tages, der ganzen Woche da, die mich bisher noch nicht zum Plaudern mit meinem lieben, lieben Erni kommen ließ. Schatzchen, mir ist etwas Eigenthümliches paßirt; denke Dir seit der Friedensnachricht, in Folge deßen unsere Truppen nicht mehr nach dem Rhein befördert werden, vorläufig aber noch mobil bleiben, ist mir zu Muthe, als hätte ich Dich bald wieder und Tag und Nacht male ich mir das Entzücken des seligen Moments aus, wo Du bei mir, ich bei Dir bin, trotzdem ich weiß, daß Du ungestört vorläufig im schönen poetischen Süden bleiben kannst, und noch viel Monate dahineilen müßen, ehe ich die Stunden des Wiedersehens zählen kann. Das macht aber, weil Deine Aenni hierin wirklich einmal verständig ist, daß sie bei aller abstrakter idealer Liebessehnsucht nicht den Nutzen der realen Gegenwart vergißt und Dich um keinen Preis weder um zoologische Arbeits- noch menschliche Naturgenüße, an denen der schöne Süden so reich ist, bringen möchte. Ich bin immer dafür gewesen, den Augenblick zu genießen, und dahin rechne ich auch Deine Algierexpedition, gegen die die Alten so sind, weil sie Dich von Deinem Ziele abbrächte; wer weiß, ob Du Afrika jemals wieder so nahe kommst, und dann ist die Versuchung gewiß natürlich; ich wenigstens theile Dein Vorwärtsdringen in Deiner jugendlichen Begeisterung, der der Mensch seinen Reichthum im Alter verdankt, wo Raum und Zeit eine engere Grenze um sein Leben ziehen, wo der häusliche Heerd oft mehr lockt, als ein Land in weiter Ferne, deßen Erreichung und Durchreisung mit Strapazen und Plaquereien verbunden sind, die ein frischer, kerniger Jüngling nicht achtet, dem reiferen Manne aber in keinem Verhältniß mehr zu den Genüßen und Reizen stehen, die er sich davon versprach und im Grunde eigentlich haben müßte. Wir sind nun einmal nur einmal jung, dem Körper nach wenigstens; geistig sollen und können wir es bis zum Tode sein, wodurch wir immer die Augen offen behalten werden für das Schöne, Große, Neue und Alte, das das wechselnde Leben bringt, mag der Gesichtskreis auch enger, die Bewegungskraft geringer || geworden sein; welch herrlicher Schmuck ein starker, frischer Geist für ein graues Haupt sind, haben wir an unserem Großvater gesehen, erfahre ich täglich im Umgang mit dem lieben Alten, der sich diese jugendliche Frische auch erhalten hat. Nur, wer eine reine ungetrübte, gut benutzte Jugend hinter sich hat, wird das Feuer der Jugend noch im Alter in seinen Adern glühen fühlen. Du sowohl, wie ich haben Anlage hierzu und ist es an uns, dies Ziel zu erreichen. Schöne Erinnerungen, poetisch zarte und milde Bilder sammelst Du jetzt in Fülle für spätere Zeiten, die ich durchweg mit Dir theile, Du liebes Herz. Je mehr Du von Ischia schreibst, desto idyllischer und feenhafter kommt mir Dein Aufenthalt dort mit Deinem lieben Freunde vor, den gefunden zu haben, ich dich täglich glücklich preise. Nur einmal hätte ich mit Dir unter der grünen Veranda angesichts des blauen Meeres frühstücken mögen, es wäre doch noch anders gewesen als des Hafenplatz No 4 ungefähr vor einem Jahre gewesene Kaffeestündchen in Heinrich’s Stube vor einem Arbeitsmorgen bei Biermann. Ach lieb Herz, das sind Alles Lichtpunkte in meinem jetzigen Entbehrungsleben, an denen ich mich immer fester klammere, je länger Du von mir fort bist. Doch nun zu Deinem letzten Brief, der gestern Morgen nicht vergeblich erwartet worden ist. Danach vermuthe ich Dich jetzt in Capri unter blühenden Myrthen und Orangen, abwechselnd mikroskopirend, abwechselnd durch Felsen und Thäler streifend, aber bitte nicht wieder solch halsbrechende Tour nach einer Palme, die fern im Südenland, denk nur an Deinen einsamen Fichtenbaum im Norden auf kahler Höh’! Die Hitze unter Deinem Bleidach muß entsetzlich gewesen sein doch haben wir sie ähnlich in den letzten 14 Tagen hier durchgemacht und vielleicht mehr, wie Du darüber gestöhnt, weil wir nicht daran gewöhnt sind; Regen scheint aus der Mode gekommen zu sein, so sehr die Pflanzen und Menschen danach lechzen. Ich bin nicht viel aus den 4 Pfählen gekommen, was bei der argen Hitze eine große Wohltat war, abgesehen von dem angenehmen Gefühl, mich nützlich machen zu können und der Mutter alle Sorgen des Hauses abnehmen und sie pflegen zu können. Sie macht ja auch || Fortschritte; wenn auch langsame, so daß Quincke doch auf einer Radicalcur in Teplitz besteht, wo ich sehr mit einverstanden bin, denn ich finde, sie muß einmal ganz aus der Wirthschaft heraus und nur für ihren Körper leben. Da sie Friederike mitnehmen, werde ich dann wohl noch nach Bonn gehen, wenn auch nur auf kurze Zeit. Dirigire Deine Briefe also nur immerhin dorthin; bin ich noch nicht da, bekomme ich sie sofort geschickt und die Alten dadurch auch, sollten sie auch nicht mehr hier sein. Sei übrigens in Hinsicht Deiner Alten ohne Sorgen; wenn sie sich eine Zeit lang recht schont, wird der Rücken schon vernünftiger werden und durch ihn als Centralpunkt der bewegenden Macht, die übrigen Glieder auch. Ihre hysterischen Gedanken vom Tode, die bei ihr überhaupt sehr locker sitzen, kommen in solcher Zeit natürlich sehr zur Geltung; doch schenke ich ihnen gar kein Gehör und rede sie ihr total aus, wobei mich Quincke sehr gründlich unterstützt, indem er sagt: „Unkraut vergeht nicht, so schnell geht es nicht mit dem Sterben.“ Nun sollst Du meine Erlebniße der letzten Woche hören, die freilich keinen so romantisch-duftigen Charakter wie Dein täglicher Blick von der höchsten Höhe der Santa Lucia herab aufs Meer mit seinem bunten regen Leben, auch Vesuv und Inseln in schönstem Farbenglanz tragen, meine Gefühle und Anschauungen aber wieder bereichert und erweitert haben. Sonntag, nachdem ich endlich nach tausend Unterbrechungen meinen letzten Brief expedirt hatte, worüber es schon Nachmittag geworden war, tranken der Alte und ich mit offener Thür zum Schlafzimmer der Mutter Kaffee, der ich nachher aus Deinen Stifter’s Studien: Die Mappe meines Urgroßvaters vorlas, die wir am Montag beendeten. In dem Bilde was der Dichter darin von dem Obrist und seiner Frau entwirft, wie sie Beide in den Alpen umherklettern, wobei er leider seine Frau, Mutter eines dreijährigen Mädchens verliert, dachte ich lebhaft an ein anderes Paar, das vielleicht einmal ähnliche Touren unternehmen wird, aber nicht mit solchem Ausgang, lieber Erni. So frühe möchte ich Dir nicht genommen werden und ein halbes Leben führen. Gegen Abend ließen mir die beiden Alten keine Ruhe; ich sollte in die Luft, was ich einerseits sehr gern that; andrerseits die Alte un-||gern allein ließ. Wir gingen auf ½ Stündchen zu Tante Bertha und dann durch die Victoriastraße und Thiergarten zu Haus. Montag Morgen badetete [!] die Alte wieder zuerst und hatte mich, wie gewöhnlich den ganzen Morgen um sich. Die Frühstunden von 5 – 6 ½ Uhr habe ich für mich, die ich leider in der letzten Woche zu nöthigen Nähtereien habe verwenden müßen, nur einmal habe ich im North and South gelesen, das recht hübsch geschrieben ist. Gleich nach Tisch war ich in unserer Wohnung, um Mehreres zu holen und mein Zimmerchen von Dir zu grüßen, das alle unsere Blumen jetzt birgt. Von 7 Uhr ab war hier Taubenschlag. Zuerst fand sich Herr Krause ein, der mit Martens Abends bei uns Thee trank, dazu Tante Bertha, die leider nicht viel von ihrem Besuch hatte, in kurzen Pausen Helene mit den Kindern, ihre Schwiegermutter, Mutter Reimer, Heinrich Sethe. Ich war froh, wie der Theekeßel summte und wir gemüthlich plaudern konnten. Daß Du wieder Mittelpunkt des Gesprächs warst, kannst Du denken, namentlich, als ich nach dem Abendbrod aus Deinem letzten Brief vorlas, der Herrn Krause wieder ganz in den schönen Süden versetzte.

Abends 11 Uhr. Eben geht Martens fort, der mich beim Weiterschreiben unterbrochen hat, und der mit Intereße sich von mir aus dem gestrigen Briefe hat vorlesen laßen und mir herzliche Grüße für Dich auftrug. Er ist wirklich ein lieber, netter Mensch, der mir vorkommt wie ein kleines Stück von Dir. Wie begierig ich aber bin, später Deinen Freund Allmers kennen zu lernen, der so sehr mit Dir harmonirt und mit dem Du so schöne, glückliche Zeit durchlebst, kannst Du Dir denken. Martens theilt nicht Deine Schwämerei für die Pompejanischen Wandgemälde, die mich nach Deiner Beschreibung auf’s Höchste mitbegeistert haben; er hat sie gewiß nur flüchtig angesehen, sonst kann ich mir es nicht erklären. Deine Arbeit habe ich ihm gegeben. Dienstag stand die liebe Alte zum ersten Mal wieder auf und aß wieder mit uns am Tisch. Ich hatte sie zu ihrem großen Ärger auf ein Brathähnchen traktirt, was Du aber gewiß billigst. Man muß ihr Alles anoctroyiren, sonst thut sie nichts für sich. Ich war still zu Haus und las nach dem Abendbrod im Bardt weiter vor. Mittwoch war Marktvergnügen, Wäsche zählen; etc. außerdem viel Krankenbesuch, so daß ich vor Tisch nicht zum Sitzen || kam. Nachmittag besuchte uns Tante Adelheid und Vetter Heinrich, der Tages zuvor glücklich sein Auskultator-Examen bestanden hatte und am 1 August sein Jahr abdienen (wenigstens anfangen) [wird]. Später mußte ich nach unserer Wohnung, um für Mutter Einiges zu besorgen, von der Helene und ich Vormittag einen sehr heiteren Brief hatten. Sie ist ein paar Tage mit Berckens in Wiesbaden, Bingen, Kreuznach etc. zusammengewesen; die Kur bekommt ihr gut, obgleich sie auch entsetzlich über Hitze stöhnt, die dort von unten her auch ihre Kraft ausübt. Sie grüßt Dich herzlich und wünscht Dir weniger Hitze. Als ich nachher zu Helene kam, fand ich meinen Bruder Karl als Unterofficier da, der sich zwei Tage Urlaub genommen hatte auf dem Marsche von Ruppin nach Brandenburg, um uns vor dem Abmarsch nach dem Rhein noch einmal zu sehen, der in Folge des Friedens ebenfalls unterblieben ist. Zwei Tage vorher erhielt ich ein sehr gutes Bild von ihm, eine Zeichnung, die Frl. Nernst, eine Schwester der Scherz, seiner Gutsfrau, gemacht hat. Gegen Abend war sehr lebendiges Treiben von Wagen und Fußgängern, die zum Korso nach dem Thiergarten eilten. Donnerstag Mittag aß ich mit ihm und Theodor bei Helene zusammen, wo er logirte; brachte vorher noch ein paar Momente bei Tante Bertha zu, die sehr frisch und wohl ist. Abends hattest Du keine so unnütze Aenni wie Tages vorher, wo ich wohl zu lange in den lieben Mond vom Balkon aus gesehen hatte und meiner bangen Sehnsucht kein Herr zu werden vermochte, und vor lauter Ernigedanken erst sehr spät einschlief. Der Mond war heute nicht minder schön von dunkeln Wolken umlagert und erzählte mir viel von Dir. Nachts träumte ich, Du seist wieder zurück, saß’st an Deinem Arbeitstisch und mikroskopirtest, während ich Gläschen putzte, so lebhaft, daß wie ich Morgens aufwachte, ich Dich und den Tisch vergebens suchte, an deßen Platz jetzt mein Bett steht, und der Tisch im Fenster. Nach dem Abendbrod lasen wir in Grubes: „geographischen Charakterbildern“, die sehr lebendig und belehrend geschrieben sind; der erste Abschnitt über Königsberg erinnerte mich ungemein an das ähnliche Leben in Stettin. Freitag Morgen erhielt ich Deinen lieben, lieben Brief, der mir leider sagte, daß Du auf den meinigen 12 Tage hast warten müßen, hoffentlich nie wieder, obschon ich nicht recht weiß, wie die Verbindung nach Capri sein wird; wo ich, wenn es möglich ist, noch mehr mit meinen Gedanken bei Dir sein werde, wie sonst, Du lieber Herzensschatz. Nachmittag legte ich Wäsche, wurde oft durch vielfachen Besuch dabei unterbrochen, wie ich überhaupt von Zeit zu Zeit die liebe Alte besorgen muß, jetzt seit heute auch noch ein Blutgeschwür am Auge päppeln. Ich bin froh, daß Quincke entschieden Töplitz verordnet hat, das ihr hoffentlich Kräfte wiedergibt. Freitag Abend las ich wie gewöhnlich vor, wobei sich etwas Abnormes ereignete; ich war so ab und müde, daß ich bei der Mecklenburgischen Küste einschlief. Heute Sonnabend habe ich erst den halben Markt ausgekauft, dann mich viel in der Küche mit Kuchenbacken und Schwitzkloß einrühren beschäftigt, was Alles gut gelungen ist und meinem Männchen später gewiß auch schmecken wird; ich wollte, ich könnte Dir es jetzt noch machen. Kurz vor Tisch erschien Frau Sleevogt, die mit uns aß, nach Tisch mußte sie sich aber auf den Balkon setzen wegen ihrer Sünde, bei der die Alte unmöglich ruhen konnte. Ich leistete ihr, nachdem ich Kaffee gekocht hatte, mit Strümpfe legen Gesellschaft und ließ mir vorreden aus dem Hundertsten in’s Tausendste, wobei meine Sprechorgane ruhen konnten. Gegen Abend ging sie fort und ich setzte mich hin, mit Dir zu plaudern, wobei Martens wieder unterbrach. Mit Schrecken sehe ich den Raum schon wieder zu Ende, meine Augen sind zwar damit einverstanden, das Herz kann sich aber immer schwer losreißen von dem Stückchen Papier, das solch weite Reise machen muß und so viel, viel sein muß. Ich drück Dich an mein Herz und befiehl Dich ferner Gottes Schutz und Deiner eigenen Vorsichtigkeit. Grüß nur Herrn Allmers herzlich, von dem Du mir noch gar nicht gesagt hast, ob er auch eine Braut hat oder verheirathet ist oder wie er über diesen Punkt denkt.

Deine glückliche Aenni. ||

[Beischrift von Charlotte Haeckel]

Mein lieber Herzens Sohn!

Für Deine lieben Zeilen und gute Wünsche zum Geburtstag sage ich Dir meinen schönsten Dank; ob sie in Erfüllung gehn sollen, und Ihr Euere alte Mutter noch länger behalten sollt, das hängt von Gott ab, wie er es schickt, so wird es für alle am beßten sein; aus seiner Vaterhand wollen wir alles mit festem Vertrauen nehmen. –

Seit 8 Tagen geht es mir wieder weniger gut; und Deine Anna hat deshalb ihre Reise aufgeschoben, und pflegt mich mit kindlicher Liebe; da wünsche ich oft, Du könntest sie sehen; und Dich daran erfreuen. Quincke will uns nun nach Teplitz schicken, und wenn es sich nicht ändert werden wir Anfangs August hin. ||

Daß es Dir bis jetzt auf Deiner Reise so gut gegangen ist, dafür bin ich dem lieben Gott sehr dankbar; er möge Dich ferner behüten. Mit welcher Sehnsucht sehe ich Deiner Heimkehr entgegen; wie gerne mögte ich Dicha noch vor meinem Scheiden in einem eigenen häuslichen Leben sehen. Du hast wohl ganz vergessen, daß hier noch ein Brief an Herrn Professor Kölliker liegt; Du wolltest schreiben, wenn wir ihn abschicken sollten.

[Beischrift von Carl Gottlob Haeckel]

Mutter hat zwar einen Rückfall ihres Rückenschmerzes bekommen; er ist aber nicht so stark, wie im Februar, auch war Quinke auch in diesen Tagen zweifelhaft, ob er sie nach Töplitz schicken wollte. Falls es sich nun bis Ende dieses Monats nicht wesentlich beßert, werden wir Anfang August nach Töplitz gehn. Die lauen Bäder, welche Mutter hier genommen, scheinen doch nicht kräftig genug gewirkt zu haben, ob sie wohl schon ziemlich wieder auf den Beinen war. Wir hatten hier so außerordentliche Hitze, daß wir in der Nacht die Balkonstubenfenster öffneten und die frische Luft durch die offne Thür der Schlafstube in dasb Schlafzimmer ließen. Dabei hatten Mutter und ich uns erkältet. Ich habe mehrere Tage an rheumatischen Schmerzen || so gelitten, daß ich nicht wußte, wo aus noch ein. Jetzt ist es bei mir wieder beßer. Da Mutter seit Februar kränklich gewesen, so macht sie sich mit unter trübe Gedanken. Sie hat auch wieder Blutigel setzen müßen. Quinke meint, es liege in den Nerven und Muskeln des Kreuzes und er will vorbeugen, daß es nicht etwa Hüftweh wird. Anna pflegt sie aufs beste.

Der Friede ist nun geschloßen und Du wirst nun ruhig in Italien bleiben können. Aber nimm Deine Zeit wahr, daß Du spätestens bis zum Februar zurückkommst. Schreib mir im nächsten Briefe, wie es um Deinen Geldbeutel steht? Ich verlange nicht daß Du darben sollst, aber daß Du in vernünftiger Oekonomie, wie Du es bisher gethan fortlebst. Du mußt nun, wenn Du zurück bist, an Begründung Deines äußeren Berufs als Docent denken, vorher aber Deine Arbeiten über die italienischen Forschungenc vollenden, wozu Du vielleicht schon jetzt auf der Insel Capri d Vorbereitungen treffen kannst. – In Freyenwalde ist alles wohl. Der Frieden hat uns jetzt sehr überrascht. Wie lange er von Dauer sein wird, ist eine andere Frage.

Dein Alter Hkl

Ich bin fortdauernd der Ansicht, daß Du nicht nach Afrika reist. Diese Reise ist zu Deiner Entwikelung nicht wesentlich nöthig und würde doch extraordinäre Ausgaben erfordern. ||

[Beischrift von Anna Sethe]

Sonntag Mittag Die Alten haben noch ein Plätzchen übrig gelaßen, das ich gern noch ausfülle. Ich habe heute sehr lange geschlafen; bin aber auch erst spät zur Ruhe gekommen, und der Mond schien gerade auf mein Bett, und grüßte mich von Dir. Wie himmlisch muß solche Mondnacht auf Capri sein, da laß Dir nur alle Grüße und Alles Liebe bestellen, was im Norden ihm aufgetragen wird. Die Alte meint, Du würdest mit mir zufrieden sein, wenn Du mich sähst, nur glaube ich nicht mit meiner Zeiteintheilung, von der Du mehr beanspruchen würdest. Es macht mir unendliche Freude, den Alten eine Stütze sein zu können und durchzufühlen, wie sie Dein Kind gern um sich haben. A propos: Den kleinen Botaniker habe ich richtig gefunden; ich hätte ihn gern in Freienwalde gehabt, wo ich alle Morgen mit einem großen Strauß Feldblumen heimkehrte. Jetzt botanisire ich in dem schönen Herbarium von Dir und habe mir gestern von Martens die in Ischia gefundenen Blumen beschreiben laßen; namentlich hat mich der Johannisbrodbaum intereßirt, deßen Früchte ich als Kind leidenschaftlich gern aß; ich glaube jetzt auch weniger. Auf die Aquarelle von Ischia freue ich mich sehr; auch mußt Du Dir ein Bild von Deinem Freunde Allmers mitbringen oder beschreibe mir einmal, wie der Prachtmensch, Dein lieber Gefährte aussieht. Deine Biographie im vorletzten Brief von ihm ist zu objectiv gehalten. Wie dauert mich der arme Binz, der wahrscheinlich eben zurückgekehrt ist und vermuthlich gleich wieder fort an [!]. Ich freue mich, daß an Dir der Kelch vorüber gegangen und Du in Ruhe ausharren kannst. In Capri wird es Dir schon beßer, als in Neapel gehen. Wie aber die Arbeit schmecken wird, ist mir fraglich. 1000 Gruß und Kuß

von Deiner Aenni. ||

[Adresse um 90 Grad nach rechts gedreht]

Al Signore Dottore Ernesto Haeckel

p. ad. Signore Ernesto Berncastel.

Farmacia Prussiana.

Largo San Franceso di Paola No 7.

Napoli (Italia).

via Marseille

a eingef.: Dich; b korr. aus: uns; c gestr.: Sachen; eingef.: Forschungen; d gestr.: vielleicht

Brief Metadaten

ID
34459
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Zielort
Zielland
Italien
Datierung
17.07.1859
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
8
Umfang Blätter
4
Format
22,0 x 14,2 cm; 28,4 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 34459
Zitiervorlage
Sethe, Anna an Haeckel, Ernst; Berlin; 17.07.1859; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_34459