Sethe, Anna

Anna Sethe an Ernst Haeckel, Berlin, 23. – 25. Juni 1859, mit Beischriften von Carl Gottlob und Charlotte Haeckel

Berlin den 23. 6. 59.

Einen Frühgruß aus meinem Zimmerchen erhältst Du mit diesem Brief, mein lieber Herzensschatz, in das ich am Montag Abend wieder eingezogen bin. Ich stieg bei Deinen Alten mit ab, wo ich eigentlich bleiben sollte; Mutter, die uns dort empfing, wünschte aber die acht Tage, sie sie a noch hier bleibt, mich bei sich zu haben. Vermuthlich reis’t sie am Montag nach Wiesbaden. Ich bleibe dann noch 14 Tage bei Deinen Alten, und, mußt Du nicht zurück, was ich sehr wünsche, gehe ich dann nach Bonn, wo Mutter mich abholen wird und wir Beide nach Westphalen zu den Verwandten gehen. Meine Wünsche und Gefühle werden in dieser Zeit der Spannung, ob Du einberufen wirst, ob nicht, sehr auf die Probe gestellt; ich brauche Dir wohl kaum sagen, wie das Herz jubelt in dem Gedanken eines bald möglichen Wiedersehens und doch sagt der Verstand Nein dazu, und möchte Dich lieber ungestört im Süden bei Deiner Arbeit laßen, als jetzt eine Heimkehr wünschen. Ich hoffe auch, daß es so komme; bis jetzt ist noch keine Ordre gekommen und da die einberufenen Landwehrregimenter noch nicht einmal wißen wohin, überhaupt Keiner weiß, was mit der Mobilmachung beabsichtigt wird, so wird Ersatzreserve wohl noch Zeit haben und übrigens denke ich, ehe es nicht zum Schlagen kommt, wird man einen jungen Menschen nicht aus so weiter Ferne aus seinen Studien herausreißen. Gestern Abend hat das Herz gewaltig gepocht, mein lieber, bester Erni. Ich war mit dem Meister Krause bei Deinen Eltern bis spät in die Nacht herein zusammen, der Viel, Viel, immer wieder und wieder von Dir erzählen mußte, und das auf solche hübsche, für mich äußerst angenehme Art that, da Du stets sehr gut bei seinen Urtheilen fort || kamst, daß ich gar nicht genug von Dir, von der herrlichen Natur dort hören konnte. Ich kann mir denken nach den äußerst humanen, naturwüchsigen Ansichten, die Herr Krause gestern Abend aussprach, der den Adel des Menschen in seinem Bildungsgrunde sieht, wonach Rußland im geselligen Verkehr einen großen Schritt uns voraus ist, wo der Rang und das Wortchen „Von“ leider dominiren, nach seinen lebendigem, angeregtem Geiste für alles Schöne und Edle, Du gut mit ihm harmonirt hast, wenn er auch keine Paßion für Mollusken etc. theilt, auf die er ganz eifersüchtig gewesen ist. Er hat mich Dich [!] in Deinem Zimmer am Mikroskop, und von Lazzaronis umringt im Handel um Material, so treu geschildert, daß ich Dich vor mir zu sehen glaubte, überhaupt bin ich in Deinem Zimmerchen in Neapel jetzt ganz zu Hause seit dem letzten lieben Brief, nun Du es verlaßen hast und nach dem schönen Capri bist. Das war einmal eine Überraschung, als ich Sonntag Nachmittag mit der Alten, die nicht ganz wohl war, allein zu Haus in Freienwalde saß, während die Andern nach Alt-Glietzen zu einer Gustav Adolphsfeier und einem Besuch bei Schallehns gefahren waren, und Dein lieber Brief, der über Berlin und Genf gegangen war, in meine Hände kam. Daß Du Dich so über meinen kleinen Einfall auf der Königshöhe freuen würdest, hatte ich nicht gedacht; Du sprichst über Deinen Mangel an Form, doch kannst Du diesen unmöglich den kleinen Liedern absprechen, bei denen Gefühl und Gesinnung, die sie enthalten, das Beste ist. Das Herz ist oft so voll, von heiter lieben Gedanken, daß es schon überschwoll, – setzt’ nicht die Feder Schranken. Sie drängt so viele Gefühle, in Ein Wort oft zusammen, und hilft aus lautem Gewühle, dem Bild zu seinem Rahmen. Mein lieber, lieber Erni, mein stetes Lied ist Dank, unendlichen Dank für Deine reiche reine Liebe. || Herr Krause machte ein etwas überraschtes Gesicht, als er mich sah, was sich nachher dahin aufklärte, daß ich nach dem Bilde 10 Jahre älter aussähe, doch fand er das von Dir, was ich habe, vortrefflich. Theodor und Martens waren auch da, welchen letzteren ich Dein Zettelchen einhändigte. Die Unterhaltung wurde sehr lebhaft geführt, nicht allein über Italien, sondern auch über Politik, Lebensanschauungen etc.. Krause ist mitten über den Kriegsschauplatz gereis’t, über Genua und Triest, und denkt noch 4 Wochen hierzubleiben. Er grüßt Dich herzlich und hofft noch öfter mit Dir zusammenzutreffen. Im Café greco in Rom sind ihm jüngst Deine blonden Locken aufgefallen, ohne Dich weiter zu kennen, die nun leider weg sind. Später auf dem Wege nach dem Monte Cavo seid Ihr erst bekannt geworden. Du glaubst nicht, welchen Werth ich darauf lege von einem Augenzeugen Nachricht von Dir zu erhalten. Im montaglichen Brief hoffe ich zu hören, womit Du Dich jetzt besonders beschäftigst, und ob Du glücklich und munter, zufrieden mit Deinem Tausch bist, was Temperatur und Volk betrifft. Freitag Morgen. Nach einem schönen guten Morgen, lieber Erni, will ich Dir gleich von den letzten Tagen in Freienwalde erzählen, wo ich 7 glückliche Wochen unter lieben Menschen und munteren Kindern zugebracht habe. Sonnabend Mittag ging der letzte Brief an Dich ab, der hoffentlich pünktlicher in Deine Hände gekommen ist; wie der frühere. Nach Tisch las ich etwas im North and South. Der Kaffee beschäftigte uns immer ein paar Stunden durch allgemeine Unterhaltung seit Deine Alten und Richter da waren. Dann brachen die Herren zu einem Besuch und einem Spaziergang auf, während Deine Alte, treu ihrer alten Paßion des Spazierenfahrens, noch um 6 Uhr anspannen ließ und mit Hermine, mir und den drei Kindern in den Wald fuhr, wo Luft und Bäume nach || dem neusten Regen des Tages ganz wonnig waren. Ich hätte Dir wohl trotz Deiner Naturreize dort den schimmernden, funkelnden Wald in seinem frischen Grün zeigen mögen und freute mich auf die Zeit, wo wir gemeinsam wieder den norddeutschen Wald durchstreichen können. Leider bezog sich der Himmel wieder und Regen trieb uns zu Haus. Leider mußte die liebe Alte sich erkältet haben, sie hatte am andern Morgen eine schlechte, choleraähnliche Nacht zugebracht, war aber Montag wieder ganz frisch nach ihrer Weise. Nachdem ich Sonntag Morgen sie besorgt und umgezogen hatte, tollte ich mich noch einmal mit den Kindern aus und ging dann noch vor dem Eßen, das der Wegfahrenden wegen auf 12 ½ Uhr gesetzt war, insb Alexandrinenbad, wo ich nur Fräulein Arndt traf, die eben Reisepläne für die Ferien nach Schlesien geschmiedet hatte. Wir plauderten ein Weilchen zusammen und schieden herzlich und freundlich von einander. Dann ging ich nach dem Landhaus, um Marie Fritzner und der liebenswürdigen Norwegerin Lebewohl zu sagen; für Aegidis blieb keine Zeit mehr; im Gegentheil zu Haus fand ich schon die ganze Gesellschaft bei der Suppe. Gleich nach dem Eßen um 1 ½ Uhr fuhren sie Alle ab und während die Alte schlief, die Kinder auf dem Kirchenplatz sich umhertummelten, durchlas ich die letzten Briefe von Dir und durchlebte in Gedanken mit Dir alle Reize, die Kunst und Natur (der von Pompeji war auch dabei) in Neapel so reichlich bieten, obgleich mir Herr Krause wiederholt gesagt hat, wer nie südliche Beleuchtung, das Feuer und die Wärme der Farben, die Klarheit der Luft und das dadurch bedingte Blau gesehen habe, jeder Schatten sei dunkelblau, ist nicht im Stande, sich eine richtige Vorstellung von dieser Pracht zu machen; in Deutschland ist Alles so grau, fügte er hinzu und doch ist’s lieb in Deutschland, nicht wahr? || Die Mutter und ich tranken zusammen Kaffee und plauderten von Wem? Das war die rechte Stimmung für einen Brief vom Schatz, den ich hastig durchlas und dann außer dem Privattheil der lieben Alten vorlas. Du bist ein Glückspilz, daß Du das schöne Stück von der englischen Flotte gesehen hast. Deine Spaziergänge Abends in der Ville reale finde ich reizend, und das schöne Sorrent hast Du nun auch gesehen, worüber ich mich schon im Stillen gewundert habe, daß Du noch nicht dort gewesen warst. Doch das liegt jetzt hinter Dir und ich weiß Dich auf dem wild romantischen, zauberhaften Capri. Mögest Du ungestört dort in der herrlichen Natur umherschwelgen und mir ein hübsches Aquarell von dem kleinen Eden mitbringen. Du hältst mich also wirklich für eine Blume? Bescheidenheit drückt mich doch nicht, aber Dir gegenüber finde ich weder Blätter, noch Knospen an mir, wenn ich nicht meine starken, mächtigen Gefühle für Dich und Natur dahin rechnen darf. Ich glaube aber fast, denn durch den tiefen Einblick in Deine Seele, entwickelt sich die meinige und blüht gewiß noch niedlich. Ich muß Dir’s nur bekennen, daß ich mich schon wieder sehr nach einem Brief sehne und den Montag dringend herbeiwünsche. Also nach der Rückkehr der Übrigen, freute sich Alles mit mir über den Brief, den ich einem aufmerksamen Auditorium vortragen mußte. Süße, wonnige Träume waren Nachts die Folge Deiner lieben Zeilen. Montag Morgen packte ich meine Sachen, sagte dann noch Frau Ziethen, die mir einen herrlichen Strauß Rosen nach der Post schickte, die noch immer über Deinem Bildchen unter Salzburg blühen, und Frau Aegidi Lebewohl. Das Wetter war herrlich und daher beschloß ich den Rückweg über den Monte Caprino zu machen, von wo aus ich mir ein liebes Bild von der freundlichen, fruchtbaren Natur Freienwaldes mitnahm, leider auch von hier ein großes Feuer übersehen konnte, das in Ranft schon mehrere Häuser in Asche gelegt hatte. Dann ging ich zum letzten Mal in Herminens kleines Gärtchen, nahm mir eine Rose zum Abschied mit, nicht wißend, daß Hermine oben schon einen großen Strauß für mich hatte. Wir aßen zum letzten Mal gemüthlich Mittag, dann ging es || nach der Post. Glücklicher Weise kommen [!] wir in einen großen luftigen Beiwagen. Sonnabend Abend. Deine Alten, die heute Abend mit Jacobis, Theodor und Hermine Bercken bei uns Thee getrunken haben, bringen einen ganzen halben Bogen für den Brief; da darf ich hier nicht weiter schreiben [ ]c nicht mehr lange plaudern. X

[Adresse um 90 Grad nach links gedreht]

Al Signore Dottore Ernesto Haeckel.

p. ad. Signore Ernesto Berncastel

Farmacia Prussiana.

Largo S. Francesco di Paola No 7.

Napoli (Italia)

via Marseille ||

X Den letzten Brief habe ich auch nur so flüchtig geschrieben, und heute geht es mir nicht beßer; kann ich Dir doch nur immer dasselbe schreiben, von meinem Glück, das ich in Dir gefunden habe, lieber, lieber Schatz. Als ich am Montag bei Euch abstieg, machte mir Dein leeres, kahles Zimmer solch wehmüthigen Eindruck, daß ich mich nicht lange darin aufhielt. Da hast Du beßer Platz, als in der Wohnung in der Santa Lucia, die entsetzlich eng gewesen sein muß, und wie gern hätte ich mich ein Stündchen zwischen Arbeitstischen, Koffer, Kamin, Bett und Sopha hindurchschlängeln mögen, um Dir nahe sein und Deine lieben Augen küßen zu können. Wie werden die wieder auf dem schönen Capri gefeßelt werden in der herrlichen Umgebung; da wirst Du sie gewiß auch manchmal an’s Mikroskop zwingen müßen. Ein Exemplar Deiner Plexus habe ich mir mitgenommen und theilweise gelesen. Einzelnes habe ich sogar in Folge des Studiums im Eschricht verstanden, wenn mir auch Vieles dunkel geblieben ist. Unsere lieben Feuer leuchteten gleich am ersten Abend nach einem furchtbaren Hagelwetter, das Mutter, die uns in der Wilhelmstraße empfing, und ich dort noch abgewartet hatten, so klar und ruhig, daß ich mich gar nicht von ihnen losreißen konnte, d. h. mehr von den lieben Erinnerungsbildern des vergangenen Jahres, bei denen sie eine Hauptrolle spielen. In meinem Zimmerchen ist es so traulich, trotzdem es nicht in Ordnung ist, daß ich gar nicht heraus mag. Ich habe es mir auf die acht Tage so heimlich wie möglich gemacht, Salzburg und Deine erste Sepiazeichnung über meinem Schreibtisch aufgehangen, Dich darunter gestellt und dann sitze ich davor, heimlich von der Arbeit einen Blick zu Dir werfend und mit meinen Gedanken in Capri. Tante Bertha ist wohl, gestern Abend habe ich ihr Deinen ersten Aufenthalt in Capri vorgelesen, der die Veranlaßung zu Deinem jetzigen längeren gegeben hat. Dienstag Abend waren die Alten, Jacobis und Theodor bei uns, der sehr elend aussieht, Hedwig schreibt mir über Marie sehr bewegt und ängstlich; das arme Wesen! ein so lang aussehendes Leiden vor sich zu haben! Hermine Bercken ist heute Morgen hier einpaßirt, um Freitag oder Sonnabend mit Untzers nach Gastein zu reisen, herrliche Aussichten, die nur durch die Gesellschaft von Untzers einen kleinen Dämpfer bekommen. Sie, sowie alle Verwandte, besonders Mutter grüßen Dich herzlich. Mache nicht zu kühne Sprünge auf den steilen Felsen herum und schone Dich für Deine Aenni, die den Husten ganz los und frisch und munter ist. Den Freienwaldern muß ich auch morgen schreiben. Gute Nacht von Deiner

lieben Aenni. ||

[Beischrift von Carl Gottlob Haeckel]

Berlin 25 Juni 59.

Mein lieber Ernst!

Die kriegerischen Ereigniße und die darauf Bezug habenden Anstalten hatten uns wegen Deines dortigen ferneren Aufenthalts besorgt gemacht. Ich bin also bei dem Präses der Kreisersatz Commißion Geheimrath Pehlmann gewesen und habe ihn soeben gesprochen. Er hat mir soeben die Versicherung gegeben, daß Du vorläufig ruhig dort bleiben könntest. Dein letztes Attest lautet vom 1 October 1857. Dieses Attest ist das Maasgebende und darnach bist Du wegen Schwäche des rechten Knies zur Ersatz Reserve geschrieben und so lange diese nicht aufgerufen wird, kannst Du ruhig dort bleiben. Dieser Aufruf dürfte wohl erst beim Ausbruch eines wirklichen Krieges zwischen Preußen und Deutschland einerseits und Frankreich andererseits eintreten. Dazu ist aber vorläufig noch keine Aussicht, Preußen hat noch neuerdings sich dahin ausgesprochen, daß es Oesterreich seine italienischen Besitzungen in Bausch und Bogen, darunter ist besonders die Lombardei gemeint, nicht garantiren könne. Etwas anderes ist es, wenn Frankreich in Italien so mächtig eindringen sollte, daß auch das Interesse Deutschlands gefährdet werden sollte. Man nimmt an, daß dieses der Fall sei, wenn die österreichischen Festungen von Mincio, Mantua, Verona etc. für Oesterreich vorsetzlich gefährdet werden sollten. Dieses ist jetzt noch nicht der Fall. Man erwartet nächstens eine entscheidende Schlacht am rechten Ufer des Mincio, es wird ferner daran darauf ankommen, ob der Aufstand in Oberitalien wesentlich vorschreitet. England und Rußland wollen Oesterreich in Behauptung der bisherigen Stellung, insbesondere im Besitz der Lombardei nicht unterstützen. Sie werden es zufrieden sein, wenn diese sich frei macht. || Allein Oesterreich wird alle seine Kräfte aufbieten, um die Lombardei zu behalten. Dieses mag es auf seine Rechnung thun und dazu hat es noch große Mittel. Erst wenn diese erschöpft sind und Oesterreich die Lombardei nicht wieder erobern und nicht halten kann, wird die ernstliche Frage wegen der Theilnahme Deutschlands am Kriege entstehen und es dürfte daher vor dem Eintreten dieses Falls kein Krieg wirklich ausbrechen. Vielleicht treten die europäischen Mächte schon früher vermittelnd ein. Ob aber diese Vermittelung von Erfolg sein wird, ist die Frage. Die Entscheidung der Frage wegen der Theilnahme Deutschlands am Kriege kann sich also bis in den Herbst hinziehen. Bricht aber dieser aus, so wirst Du wohl zurück müßen. Es ist aber auch möglich, daß Napoleon die Sache nicht bis aufs äußerste treibt und sich damit beruhigt, wenn nur die bisherige Suprematie Oesterreichs über ganz Italien gebrochen wird, was Rußland und England ebenfalls wollen und daß Oesterreich, weil es pekuniär zu erschöpft ist, nachgiebt. In diesem Fall könnten wir bis zum Herbst Frieden haben, und Du könntest dann ruhig noch diesen Winter in Italien bleiben. Bei uns hier rüstet man sich vollständig, um für alle Fälle bereit zu sein und ein gewichtiges Wort mitsprechen zu können. So ist die gegenwärtige Lage der Dinge.

Aufd dem früheren Attest der Kreisersatz Commißion vom Aprill 1854 befindet sich auch das spätere vom 1 October 1857. Dieses letztere ist nach der heutigen Aeußerung des Herrn Pehlmann das maasgebende. Du hast aber noch ein späteres Schreiben vom vorigen Winter gehabt, wornach Du ebenfalls zur Ersatzreserve geschrieben warst. Dieses Schreiben nahmen wir vor einiger Zeit aus Deinen Papieren heraus und um es bald bei der Hand zu haben, wollte es Carl besonders asservirt wißen. Wir haben nun alle Papiere in meinem und Mutters Secretair durchsucht und können es nicht wieder finden. Mutter war deshalb sehr be-||sorgt, Herr Pehlmann meinte aber heute, darauf käme es nicht an. Das Attest vom 1 October 1857 sei das entscheidende. Mutter ist nun wieder beruhigter.

Mutter ist noch immer krankschälig; sie hat wenig Kräfte beim Gehen. Zu Tante Bertha kann sie hin und zurück fahren, nicht aber weitere Touren machen. Sonst ist sie munter. Nach Freyenwalde haben wir, wie gewöhnlich, schlechtes Wetter gebracht, auch wurde es nach großer Hitze sehr kalt, so daß ich mich sehr erkältet habe. Doch haben wir einige hübsche Touren gemacht. Carl bleibt vorläufig auch ganz ruhig in seinen Verhältnißen. Wir werden wahrscheinlich in der letzten Woche des Juli auf 4-6 Wochen nach Freyenwalde gehen. Mutter wird dort baden. Sonst werden wir keine Reise machen. Tante Bertha ist munter, Gertrud wird Ende Juli aus Aurich zurückkommen. Theodor ist hier und arbeitet sehr fleißig als Referendarius, da er wegen seiner körperlichen Constitution nicht zum Militärdienst eingezogen wird. Heinrich Sethe, Dein künftiger Schwager, ist jetzt bei den Landwehrübungen in Pommern, Carl Sethe ist bei dem 3ten Armee Corps, welches mobil gemacht ist und wohl an den Rhein gehen wird. Minchen wird nach Wiesbaden ins Bad gehen und Anna hoffentlich einige Wochen bei uns (in unserer Wohnung) bleiben.

Vor einigen Tagen haben wir Kortüm begraben, seine Kräfte hatten schon seit einem Jahre sehr abgenommen. Ottilie ist wieder nach Schlesien zurück. Das Wetter ist außerordentlich fruchtbar, öfters Regen und nicht zu heiß. Sonst wüßte ich Dir vorläufig nichts zu schreiben. Lebe wohl und bleibe gesund und benutze Deine Zeit aufs beste. Mit Deinem ökonomischen Haushalt bin ich zufrieden. Dein Dich liebender Alter Vater

Haeckel. ||

[Beischrift von Charlotte Haeckel]

Mein lieber Herzens Sohn! Wie sehr ich mich in Gedanken mit Dir beschäftige, brauche ich Dir nicht erst zu sagen. Gott erhalte Dich nur gesund und gebe uns ein frohes Wiedersehen. Bereite Dir nur nicht zu viel, und unternimm nichts, was Deiner Gesundheit schadet. – Dr. Krause aus Kiel [?] ist hier, vorgestern Abend war er zum Thee bei uns, auch Marthens und Deine Anna. Dr. Krause sprach mit großer Liebe von Dir. Georg Reimer hat Deine gedruckte Arbeit geschickt. Dr. Krause wünscht sie zu lesen und ich habe ihm ein Exemplar mitgegeben; soll er es behalten? oder nehme ich es wieder, wenn er es bringt. Gestern trafen wir bei Frau Professor Weiß Chamisso, der hat auch Order, ist aber noch nicht eingezogen und noch in seiner Stellung. Er läßt || Dich schön grüßen, wie auch Marthens, Dr. Krause und Theodor; wen ich von Bekannten sehe, die tragen mir immer Grüße auf. – || Nun leb wohl, mein lieber Sohn, Gott befohlen. Behalte lieb Deine alte Mutter. –

a gestr.: hier; b korr. aus: zu; c unleserlich wegen Siegelprägung; d korr. aus.: Außer

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.06.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Neapel
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 34456
ID
34456