Hannah Dorsch an Ernst Haeckel, Lugano, Villa Monteverde, 8. März 1906

(Schweiz) Lugano, d. 8./3. 1906.

Villa Monteverde.

Hochverehrter Herr Professor!

Es war wirklich gar zu lieb und gütig von Ihnen, mir einen Brief zu schreiben! Ich habe mich so sehr darüber gefreut, und ich danke Ihnen vielmals dafür!

In Gedanken habe ich mich schon seit langer Zeit oft und viel mit Ihnen und mit dem, was Sie geschrieben haben, beschäftigt, und es ist mir daher eine ganz besondere Freude, nun auch in persönliche Beziehung zu Ihnen getreten zu sein. Ich weiss sehr wohl, was Alles in meinem Leben ich Ihnen danke, und das werde ich Ihnen nie vergessen, lieber Herr Professor!

Eine ganz besonders grosse Freude würde es mir sein, wenn es mir vergönnt sein würde, Sie nun auch noch gelegentlich persönlich kennen zu lernen; es ist mir daher immer ein lieber Gedanke, dass es vielleicht nicht unmöglich wäre, Sie mal hier in Lugano zu sehen. Sie reisen doch so manches Mal; wie schön wäre es für uns, wenn Sie da mal bei Gelegenheit bei uns hier Halt machten und Herrn Prof. Dodel besuchten! Wir würden uns Beide ganz schrecklich freuen, und ich würde mir eine Ehre und einen Stolz daraus machen, Ihnen hier ein paar liebe und gemütliche Tage zu bereiten. Eben jetzt fängt es an, hier wieder so wunder schön zu werden: der Frühling kommt, Alles treibt und grünt; draussen duften die Veilchen, und die Berghänge sind besäet mit den goldgelben Primeln und den blauen Leberblümchen. Wir sitzen stundenlang draussen in der warmen Sonne, und nehmen die Mahlzeiten fast immer auf unserer herrlichen Terrasse, wo man zu Füssen den blauen See hat und dahinter die malerischen Bergzüge. Und es wird nun noch immer schöner! Es ist wirklich ein Paradies hier unten! Wollen Sie nicht einmal ein paar Tage bei uns hier verleben?

Wir führen hier ein ganz stilles Leben mit einander, ich mit meinem lieben „Vati“, – so nenne ich nämlich Herrn Professor; wir sind auch ganz wie Vater und Tochter, und ich, die ich seit meinem 6. Jahre einen Vater entbehren musste, ich bin so glücklich darin, und ich möchte meinem Vati Alles sein und thun, was eine erwachsene und in manchen inneren Kämpfen zur Selbständigkeit herangereifte Tochter einem alten Vater sein kann. Ihre lieben Zeilen von neulich haben Herrn Professor recht wohl gethan, er weiss jetzt nicht, dass ich Ihnen schreibe, daher kann ich Ihnen keinen Gruss von ihm bestellen, aber Sie dürfen überzeugt sein, dass era in Dank und Verehrung viel Ihrer gedenkt. Wir sprechen oft von Ihnen. ||

Dass es Ihnen wieder besser geht, freut mich von Herzen; hoffentlich erholen Sie Sich nun bald ganz von dem schlechten Winter. Herrn Prof. Dodel geht es auch leidlich; ich hoffe, für ihn Viel vom Frühling. Möchte er nur bald wieder in Ruhe bekommen, in Haus und Gemüt! Erb möchte so gern noch Vieles für den Monistenbund arbeiten.

– – – Verzeihen Sie, lieber verehrter Herr Professor, dass ich Sie noch einmal mit einigen Zeilen behelligt habe; aber nicht wahr, ich durfte Ihnen doch danken für Ihre lieben Zeilen, mit denen Sie mich so sehr erfreut haben?

Nehmen Sie noch einmal die Versicherung meiner aufrichtigen Verehrung, und seien Sie auf das Herzlichste gegrüsst

von Ihrer ergebensten

Hannah Dorsch.

a irrtüml: es; b irrtüml.: es

Brief Metadaten

ID
3421
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweiz
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweiz
Datierung
08.03.1906
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
2
Format
21,1 x 27,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3421
Illustrationen
Kirchturm der Kathedrale San Lorenzo mit Blick auf den Luganer See
Zitiervorlage
Dorsch, Hannah an Haeckel, Ernst; Lugano; 08.03.1906; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_3421