Hermine Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 9. Dezember 1852
Ziegenrück d. 9ten Dezember
1852
Mein lieber Ernst!
Das Loos aller Frauen, die Correspondenz zu führen ist auch jetzt Deiner Schwägerin zugefallen; ich wollte ich hätte lauter solche Correspondenten wie Dich, geliebtes Bruderwesen, dann ließe ich mir es gefallen. Also zur Sache, die darin besteht Dir zuerst unsere Freude mitzutheilen die Dein lang ersehnter Brief hervorgerufen. Briefe sind überhaupt ein Fest in der Kreisrichterlichen Familie, noch mehr aber die Ankunft Deiner Geburtstagskuchen-Sendung, die Du ja auch kennst. Heute haben wir den letzten Rest vertilgt, so sparsam sind wir damit umgegangen, es war unser erster Kuchen und wird für ein Weilchen auch wohl der Letzte gewesen [sein]. Dafür kann ich Dich aber mit ganz neubackenen Semmeln || bewirthen! Denke Dir. Ja überhaupt was das betrifft, so führt man hier ein herrliches Leben, ganz genau weiß man wenn ein Vieh geschlachtet wird, öfter sogar schon ehe es geschlachtet ist wer von demselben bekommt.
Das ist richtig etwas beschwerlich wirthschaften ist hier, man lernt keine Ansprüche machen und wie Du sehen wirst leben wir sehr glücklich und vergnügt dabei. Karl hat jetzt auch etwas weniger zu thun wie anfangs, wo es sehr arg war; wir können doch spazierengehen, auch im schönsten Regen wie heute z. B. Das Wetter ist hier so wunderlich, glaubst Du, daß wir schon Frost gehabt hätten, einmal nur wenig Schnee. Das ist nun insofern sehr schön, als noch Zeit ist die Fußwege vom Schloß herunter zu verbeßern, was denn auch mit Macht geschieht.
Die Chaussee ist leider noch nicht bis Unten fertig, aber schon recht vorgeschritten und ein wahres Prachtwerk. Der Ort ist rechtsschaffen schmutzig und Deine Lieblings- || plätze vor den Häusern füllen sich bereits. Doch das wirst Du Alles selbst sehen. Was nun Dein Kommen zum [Weihnachtsfest] betrifft, so nehmen wir das als ganz gewiß an, da Du gar Nichts davon schreibst. Wir bitten Dich aber noch einmal, lieber Bruder, komme ja, denke wie einsam wir das Fest hier verleben werden; wenn Du wüßtest wie wir alle Tage davon sprechen, wie nett es sein wird, wenn Du erst hier bist. Über die Art zu reisen haben wir uns bereits erkundigt und kann ich Dir Folgendes mittheilen. Du fährst bis Hof, setzt Dich dort auf die Post bis Schleiz über Gefella /: nichtb wie Dein Brief über Leipzig, Erfurt gegangen ist, volle 5 Tage :/ In Schleiz steigst Du in der Sonne ab und nimmst Dir von dort einen Zweispänner über Krispendorf hierher, falls wir Dich dort in der Sonne nicht erwarten. Wir haben nämlich immer schon einmal nach Schleiz gewollt, ist es nun nicht zu schlechtes Wetter, so haben wir große Lust Dich von dort abzuholen. Natürlich mußt Du uns vorher genau den Tag Deiner Abreise und den Zug schreiben mit dem Du in Hof anlangst. Vielleicht kannst Duc so lange hier bleiben um am 6ten || Januar den größten Ziegenrücker Ball mitzumachen, der unstreitig an Pracht Alles übertrifft was bisher dagewesen ist. Karl und ich freuen uns schon darauf, es mit anzusehen. Sonst scheinen die Festlichkeiten sich auf das Rathhausgehen der Männer, das allwöchentliche Kränzchen der Frauen, und das gegenseitige Besuchen nach dem Abendbrod, zu beschränken. An meines Schwiegervaters Geburtstag war die grade Anwesende Deputation, Rechtsanwalts u. Kreisphysikus‘den Abend bei uns.
Aus Berlin hatte ich neulich sehr lange Briefe, leider geht es der armen Tante Bertha gar nicht gut, sie schreibt zwar selbst, aber ziemlich trostlos und niedergedrückt. Den Eltern geht es gut, fühlen sich aber sehr einsam. Daß Wilhelm noch dort ist weißt Du wohl, Großvater kann ihn gar nicht verdauen. Da hat Tante Bertha einen schweren Stand zwischen Beiden. In Stettin und Posen ist Alles wohl bis auf Mutter, die sehr viel angegriffen ist. Denke Dir Großvater erkundigt sich nach Allem von uns, sogar ob die Zwiebäcke hier zu haben wären. Und leb wohl, verehrter Menschschneider, erfreue uns bald mit der Nachricht, daß Du u. wann Du kommst.
Von Herzen
Deine Schwägerin.
a eingef.: über Gefell; b eingef.: nicht; c eingef.: Du