Wilhelmine Sethe an Ernst Haeckel, Heringsdorf, 29. August 1866

Heringsd. d 29 Aug. 1866.

Lieber Ernst!

Der Beantwortung Deines lieben Briefes, haben sich allerlei Hinterniße in den Weg gestellt weshalb Du verzeihen mußt daß es nicht früher geschah.

Die Heiraths Angelegenheit hat sich in der Art heraus gestellt daß sehr wahrscheinlich nichts daraus wird. Nun ist es aber in ihrem älterlichen Hause so geworden, daß sie es für absolut nothwendig hält, daß sie eine Zeitlang dort ist, um das Verhältniß der jüngern Schwestern ins Gleiche zu bringen. Sie bittet mich nun sehr, Bertha jedenfalls anzunehmen, und sie jetzt ziehn zu lassen.

Ich kann dem nichts entgegen setzen, obgleich es nach meiner Meinung nicht das Rechte sein wird. Ich bitte allso jedenfalls um Bertha und zwar sobald sie kommen kann, aber ohne irgend jemand einen Zwang aufzuerlegen. ||

Ich möchte sie nemlich noch gern hierher haben, weil ich glaube hier in dem engeren und näheren Zusammenleben, werden wir uns noch eher an einander gewöhnen als in Frankfurt.

Ich bleibe jedenfalls, so Gott will, bis Ende Okt. hier, wo wir dann doch noch einen Monat zusammen bleiben könnten.

Ich werde noch einige Zeilen an Bertha selbst mit einlegen.

Daß Dein heißer Wunsch erfüllt wird, so lange Zeit am Mittelländischen Meer zu leben, freut mich recht, und hoffe und wünsche, Du werdest finden was Du suchst.

Am meisten aber wünsche ich Dir daß Du Trost und Ruhe finden mögest für Dein armes müdes Herz.

Der liebe Gott und seine Verheißungen sind aber überall zu finden wenn Du sie nur ernstlich suchest.

Du glaubst es nicht wie viel meine Gedanken bei Dir weilen, wie ich den lieben Gott bitte, er möge meine Wünsche für Dich erhören.

Hast Du in jüngster Zeit etwas von Deinem Freund Doren gehört? ||

Nach allen Stettiner Nachrichten hat er sich bei seiner Verlobung ganz erbärmlich genommen und vielleicht ein armes Herz für das ganze Leben geknickt. Wie er diese Art und Weise vertheidigen und sich rechtfertigen kann, ist mir nicht denkbar.

Im Heringsdorf war der Einfluss der schweren Zeitverhältniße auch recht fühlbar, die erste Saison wenig besucht, dafür jetzt aber recht besetzt. Ich machte wirklich eine Ausnahme indem mein ganzes Haus für den ganzen Sommera an drei Schwestern Mendelson mit ihren Familien besetzt, Oppenheims, Warschauer und Westphal, alles so allerliebste Menschen, daß ich ganz glücklich darüber bin.

Ich selbst hatte die Ferien Zeit lieben Besuch von Julie Klostermann, der mir sehr lieb war. Und jetzt ist Frl. v. Schütz hier und hatte auch auf Mathildchen Braun gehofft. Diese schreibt mir gestern ab, da ihr Schwager in Leipzig plötzlich gestorben. Die Frau ist jetzt in Berlin. Die armen Brauns kommen doch auch gar nicht aus der Trauer heraus.

Von meinen Kindern war noch niemand hier, was ich recht beklage ich hoffe noch immer auf Karl und Lucie || und denke Lucie soll sich hier etwas erholen von allen traurigen Erlebnißen, die arme kleine Frau hat einen zu schweren Anfang gehabt. Und dann rechneb ich auch noch auf Bertha wenn erst die böse Cholera dort ganz verschwunden und vielleicht noch Heinrich. Jakobis werden wol bald heimkehren, Gott gebe recht gestärkt.

Ich habe recht viel Musik Genuß, indem die Gräfin Purtales oft bei mir spielt. Da ihr Instrument so schlecht, da kommt sie her da sie dicht neben mir wohnt.

Sie ist so einfach und liebenswürdig daß es mir ein lieber Gedanke ist daß sie Oberhofmeisterin bei unsrer kleinen prächtigen Kronprinzeß wird, denn Einfluß hat die Umgebung immer.

Daß es Deinen Freunde Gegenbauer erträglich geht, freut mich sehr, und daß sein Kindchen gedeiht. Sage ihm meine Empfehlung, denn wenn ich Deiner gedenke, muß ich unwillkürlich auch seiner gedenken.

Im Landsberg geht es ja Gottlob gut daß Carl nicht nach Jena kam, war wol das Rechte denn bei solchen Zeiten, muß man zusammen bleiben.

Grüße Deine Eltern recht sehr, und der Mutter sage ich vielen Dank für ihren Brief. Sie möge Deinen Brief mit als Antwort ansehn, meine Augen wollen nicht recht.

Deine treue Mutter

c Arbeite nur nicht mehr, als Dir gut ist lieber Ernst, Du mußt es später büßen, und wofür? Wenn Du auf Reisen bist, hoffe ich durch Landsberg immer Nachricht von Dir zu erhalten.

d Ob Bertha das Reisegeld aus legt? oder ob Mutter es ihr vielleicht vorstreckt daß ich es ihr wieder ersetzen kann? Sprich doch auch noch mal mit Bertha daß sie sich etwas zusammen nimmt, mit ihrer großen Empfindlichkeit. Du kannst ihr bestimmt versprechen daß ich immer wahr und treu und offen sein werde.

e und wenn auch sie dies sein wolle, werden wir stets miteinander fertig werden, daß sie gern zu mir kommt, ist schon viel für unser Verhältniß, und sie soll sich nicht getäuscht sehen in mich, ich schickte mich immer gut ein.

f Grüße auch die andern Freunde und Bekannte von mir. Emilie läßt Mutter herzlich wieder grüßen. Es ist mir recht schwer, sie zu entlassen, aber ich kann es nicht anders, da ich Ersatz bekomme.

a eingef.: für den ganzen Sommer; b eingef.: rechne; c weiter am Rand v. S. 4; d weiter am Rand v. S. 3; e weiter am Rand v. S. 2; f weiter am Rand v. S. 1

Brief Metadaten

ID
33879
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
29.08.1866
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,7 x 21,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33879
Zitiervorlage
Sethe, Wilhelmine (geb. Bölling) an Haeckel, Ernst; Heringsdorf; 29.08.1866; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_33879