Wilhelmine Sethe an Ernst Haeckel, Heringsdorf, 9. August 1866

Heringsd. d 9t. August 1866

Lieber Ernst!

Ich komme in einer großen Aufregung zu Dir, indem ich eben von Emilie höre, daß sie einen Antrag erhalten und aller Wahrscheinlichkeit annehmen wird, und da es ein Witwer ist, wo es wünschenswerth ist bald zu heirathen. Ich kann ja natürlich nichts dagegen haben, aber wenn Du es ahndest wie nett wir zusammen fertig werden, dann könntest Du Dir denken, was mir dies für eine Hiobspost ist.

Wir beide haben schon überall herum gegrübelt, wer sie wol ersetzen könnte, aber wir suchen vergebens. ||

Da fällt mir eben ein Dich zu fragen, wie es bei den Friedens Aussichten mit Deiner langen Reise aussieht? Und wenn Du sie machst, ob Du für die Zeit Bertha entbehren willst, es wäre für den Augenblick eine Aushülfe, und könnte später auch etwas anderes suchen.

Ich würde ihr die Reise hin und zurück zahlen, und unter denselben Bedingungen wie Du sie hast, annehmen.

Wenn Du sie zurück haben willst, gebe ich sie ab, mußt mir nur ohngefähr die Zeit bestimmen.

Nun fragt es sich, ob Bertha will, und wird hoffentlich nicht gar zu empfindlich sein.

Sie ist auch allein bei mir und keinen schweren Dienst wie [Du Dir] leicht denken kannst, bei mir allein. ||

Ich dächte Du könntest Deine Wohnung ruhig abschließen da Du bei Freunden wohnst die gewiß achten und sonst jemand den Schlüßel vertraust.

Sage mir doch so bald wie möglich Deine, und Berthas Meinung darüber, und wenn sonst noch eine Bedingung wäre, und wann Du Deine Reise antreten wirst.

Ich bin ganz verwirrt, so plötzlich ohne alle Ahnung solche Änderung, es wird mir sehr schwer mich da hinein zu denken. Helene ist noch mit den Kindern nach Salzungen, was mir sehr lieb da es für Clärchen nothwendig. In Landsberg geht ja Alles gut. In Ziegenort ist auch die Cholera, jedoch wenig und bis jetzt Gottlob nicht bei Petersens. Aber das arme junge Ehepaar hat traurige Flitterwochen || verlebt. Nachdem wir eine sehr nette vergnügte Hochzeit verlebt, reiste das junge Paar nach Schlotwitz seinem Bestimmungsort. Zwei Tage später mußte Carl sich stellen, kommt aber glücklicher Weise wieder frei, da er überzählig war. Und welch ein Glück, indem Tags darauf im Dorf die Cholera ausbrach, wo 13 Menschen starben. Sie hatten drei Wochen einen ärztlichen Pfleger. Dabei wurden Wirthschafterinnen erkrankt so daß die arme kleine Lucie Alles übernehmen mußte und datzu noch alle Krankensuppen kochen mußte.

Mitten in dieser schlimmen Epoche wird Carl wieder einberufen wo wol keine Aussicht war um frei zu werden. Jedoch hat ihm der Oberpräsident noch einen 14 Tägigen Urlaub geholfen und bleibt hoffentllich jetzt verschont. Der arme Junge war in verzweifelter Lage, unter diesen Umständen die arme Frau zu verlassen die bestimmt erklärte nicht fort zu gehn, da es nun mal ihre Bestimmung sei. Gottlob daß beide frei geblieben. Hoffentlich gehn sie einer um so froheren a Zukunft entgegen. Zu Carls Geburtstag waren alle Heringsdorfer

dort, wo sie sehr vergnügt waren. Und nun adee lieber Ernst. Sei aufs herzlichste gegrüßt mit Deinen Ältern.

Deine treue Mutter

b Die Kronprinzeß ist schon lange hier, lebt sehr still ihrem Schmerz und ihren Kindern. Die einfache Weise spricht jeden an und ist sehr beliebt. Die Kinder sind nett. Seit vorgestern ist der Kronprinz hier, unter großen Jubel, Illumination und alle mögliche.

c Es heißt sie reisen übermorgen ab, was mir ganz leid ist, ich habe die kleine Frau ganz in mein Herz geschlossen.

d Heinrich hat das Glück gehabt mit beordert zu sein, den Soldaten und Verwundeten Erquickungen nach dem Kriegs Schauplatze zu bringen, was wol sehr interessant war.

a weiter am Rand v. S. 4; b weiter am Rand v. S. 3; c weiter am Rand v. S. 2; d weiter am Rand v. S.1

Brief Metadaten

ID
33878
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Datierung
09.08.1866
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 21,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33878
Zitiervorlage
Sethe, Wilhelmine (geb. Bölling) an Haeckel, Ernst; Heringsdorf; 09.08.1866; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_33878