Sethe, Wilhelmine (geb. Bölling)

Wilhelmine Sethe an Ernst Haeckel, Frankfurt, 14. Februar 1866

Frankfurt d 14t. Febr. 1866

Mein lieber Ernst.

Der schwere Tag naht, wo uns so viel genommen für die irrdische Zeit, wo mir ein so glückliches Kind genommen, und Dein zeitliches Glück so schwer gestört wurde. Wenn ich Dein gedenke trete ich den Hintergrund, und doch kannst Du glauben ist es nicht leicht für eine treue liebende Mutter, wenn der liebe Gott ein so glückliches, begabtes Kind ihr abfordert.

Wir sollen, und wollen uns immer mehr fügen, in des Herrn Willen, der ja Alles zu unserm Besten thut, wenn wir kurzsichtige Menschen es auch nicht einsehn und begreifen können, wer weiß welchen Leiden die seelige Anna entgangen ist, wo sie bisher nur Glück und Freude gekannt. Du mein lieber Ernst wirst sie nie vergeßen, das wird auch keiner von uns wünschen, aber ich sehe es mit inniger Freude || daß Dein Schmerz ruhiger geworden. Glaub mir die treue Erfüllung Deiner Berufspflichten, führt Dich zuerst auf den richtigen Weg, und da Du wieder Freude an Deiner Arbeit gewonnen, fleißig und thätig bist, wird Deine Anna mit Freude auf Dich hernieder blicken, und der liebe Gott Deine Arbeit segnen.

Ich sende Dir einen Kranz für unser liebes Grab, bring ihr meinen herzlichen Gruß, und Dir lieber Ernst einen herzlichen Glückwunsch zu Deinem Geburtstage, dessen ja so viele der Deinigen mit Liebe und Freude gedenken. Ich weiß gewiß Deine nächsten Freunde werden Dir den schweren Tag tragen helfen, was doch köstlich ist. Bitte sage ihnen auch von mir einen freundlichen Gruß und Dank für ihre Theilnahme. Mir geht es diesen Winter doch im Ganzen viel besser || verdanke ich dies dem gelinden Winter oder Wiesbaden? Denn die Kälte ist nicht mein Freund. Hier haben wir vollkommnes Frühjahr, viele Ziersträucher ganz grün, Schneeglöckchen, Krokus in Blüthe, wie wunderbar, wenn es jetzt noch ordentlichen Frost geben würde, wäre schlimm. Ich hatte große Freude, indem Lucie mit ihrer zweiten Schwester 14 Tage bei mir waren. Es sind beide so liebe, gute Kinder daß wir uns so recht gemüthlich eingelebt haben, wodurch wir uns um Vieles näher gekommen sind, und mit Freuden mein liebes Töchterchen begrüße und Karl über seine Wahl glücklich preise. Mir ist es wieder sehr einsam. In Berlin geht es ja Allen gut nur muß die arme Tante Bertha wieder viel leiden, und will immer noch nicht besser werden. In Landsberg geht ja auch wieder Alles gut, nachdem sie viel mit kleinen Krankheiten der Kinder zu kämpfen hatten weshalb ich besonders, die arme || Hermine bedauert.

Im Ziegenort geht es auch Allen gut, nachdem der kleine Bernhard die Bräune glücklich überstanden. Hier bei Schellers geht es sehr abwechselnd, obgleich es doch im ganzen besser geht als die andern Jahre. Es sterben hier viel Menschen, plötzlich an Schlaganfällen, wotzu gewiß dies ungesunde weiche Wetter beiträgt.

Und nun lebe wohl, lieber Ernst und nimm nochmals meinen herzlichen Gruß, der Liebe und Theilnahme.

Deine treue Mutter

 

Briefdaten

Gattung
Empfänger
Datierung
14.02.1866
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33877
ID
33877