Bordighera (Riviera ponentes)
7.3.1904.
Lieber alter Freund Focke!
Unter den zahlreichen (über elfhundert!) Glückwünschen, die mich an meinem 70.sten Geburtststage überflutheten, hat mich der Deinige ganz besonders erfreut, erinnert er mich doch lebhaft an die schönen Zeiten vor 50 Jahren, wo wir in Würzburg zusammen studirten und später in Wien (in dem schönen Sommer 1857) klinische und botanische Delicien genossen! Wieviel Großes und Interessantes ist in diesem halben Jahrhundert an uns vorüber gegangen; wir können dankbar darauf zurückblicken! ||
Ich habe diesen letzten Winter ( – mein 86.stes Semester in Jena) sehr still mit meiner Frau an der Riviera verlebt, 4 Monate in dem schönen Rapallo. Unsere Absicht, nach Sicilien zu gehen, wurde durch den leidenden Zustand meiner Frau vereitelt; ihr Herz- und Nervenleiden (an dem sie seit länger als 10 Jahren laborirt) hat sich langsam verschlimmert.
Da das Wetter in diesem Winter leider vorwiegend schlecht war, habe ich auch von Rapallo aus nur kleinere Excursionen machen können. Ich habe diese Zeit benutzt, um mein letztes biologisches Buch || zu vollenden, einen „Ergänzungsband“ zu den „Welträthseln“, der vorzugsweise die Probleme des Vitalismus und der Natur-Einheit behandelt; er soll im Herbst erscheinen. –
Sollte ich noch einige Jahre schreibfähig bleiben, so werde ich mich auf historische Betrachtungen und Lebens Erinnerungen (Briefwechsel etc) beschränken.
– Am 27.2. haben wir Rapallo verlassen und sind in die „Palmenstadt“ Bordighera übergesiedelt. Anfang April denken wir zu unserem Sohn zu reisen ( – der als Landschaftsmaler, glücklich verheirathet, in Sonthofen lebt – ) und Mitte April wieder in Jena zu sein. ||
Wenn ich nicht irre, bist Du nur wenige Monate jünger als ich und feierst demnächst (Anfang April?) auch Deinen 70sten Geburtstag. Empfange dazu meine herzlichsten Glückwünsche. Wenn Du Dich bald von Deiner ärztlichen Berufsthätigkeit zurückziehst, wünsche ich Dir noch lange schöne Jahre der Muße für Deine für Deine scientia amabilis, und hoffe, daß Deine reichen Erfahrungen über Rubus die Theorie der Variation und des Hybritismus noch vielfach fördern werden.
Den Freunden und Bekannten in Bremen, die mir am 16. 2. Glückwünsche sandten ( – Dreyer, Kottmeyer, Horn, Brensing) besten Gruß und Dank.
Mit herzlichen Grüßen an Dich und die Deinigen
Dein treuer alter
Ernst Haeckel.