Ernst Haeckel an Oskar und Richard Hertwig, Jena, 15. Mai 1871

Jena 15 Mai 71

Meine lieben Freunde und theuren Reisegefährten!

Wenn nicht der fatale Semester-Anfang mit seinen mancherlei unliebsamen Beschäftigungen und lästigen Störungen mich bis jetzt beständig in Athem erhalten hätte, so würde ich Ihnen schon längst einen Gruß geschickt und für Ihren lieben Brief gedankt haben. Dafür habe ich täglich an Sie gedacht und mir die wunderschönen Stunden unserer gemeinsamen Reise wieder ins Gedächtniß gerufen. Die ganze Excursion war doch höchst gelungen, und der classische Aufenthalt im Kloster zu Lesina, nicht minder die herrlichen Ostertage in Ragusa, die Fahrt an der Küste und in die Bocche, der Ritt nach Monte-Negro etc etc werden stets zu meinen liebsten Erinnerungen zählen. || Besondere Freude machte es mir, daß ich Sie Beide, meine getreuesten und liebsten Schüler, persönlich jüngst mit den herrlichen lebenden Seethieren bekannt machen konnte. Hoffentlich bewahren Sie den letzteren ebenso wie mir selbst Ihre treue Zuneigung!

Der letzte Tag in München, nachdem Sie abgereist waren, war mir sehr einsam, und ich war am folgenden Tage froh, nach Hause eilen zu können. Donnerstag 27. April Abends 5 Uhr hielt ich hier per pedes von Apolda her meinen Einzug (da die vielbesprochene Eisenbahn noch immer nicht fertig ist!!). Am selben Abend kamen auch meine drei Kisten von Triest an, welche || (trotz Eilfracht!) elf Tage (statt drei) unterwegs gewesen waren. Am folgenden Morgen packte ich sogleich aus. Die Actinien waren zu meiner größten Verwunderung noch alle am Leben und streckten sich, nachdem ich die Gläser geöffnet und ihnen frische Luft gegeben hatte, sehr behaglich wieder aus. Seit 8 Tagen sind sie aber (da ich ihnen leider kein frisches Seewasser geben kann und sie das künstliche nicht vertragen) sehr matt geworden, und gestern leider 3 gestorben. Die Sammlung ist im besten Zustande angekommen und erfreut mich sehr. Das überaus reiche Spongien-Material wird noch viel Arbeit kosten.

Die Nachträge zu Ihrer Ascidien-Arbeit schicken Sie mir recht bald, da ich sie gern noch mit (in etwa 8 Tagen) bei der Facultät circuliren lassen möchte. ||

Kupfer’s Ascidien-Arbeit finden Sie im VI. Bande von Schultzes Archiv. Ebenso im VII. Bande Kowalewskys. Den ebenso frechen wie dummen Artikel von Dönitz in Reichert’s Archiv habe ich gelesen. Ich bitte Sie dringend, diesen unverschämten und anmaßenden Bengel, der sich durch Nichts als Einbildung und Frechheit auszeichnet, gehörig zu züchtigen. Er hat es längst reichlich verdient; ein Mensch ohne alles Verständniß und Kenntnisse.

Bei mir zu Hause geht es mäßig. Meine Frau ist noch immer sehr leidend und muß viel liegen. Ich selbst hatte 14 Tage grimmigen Katarrh, was bei dem November Frühling (immer 4–6° Wärme!) kein Wunder ist. Der Collegien-Besuch ist schlecht.

An Bleeks und Schultzes herzlichste Grüße. Schreiben Sie mir bald wieder

Mit der aufrichtigsten Freundschaft und Zuneigung Ihr treuer

Haeckel

Brief Metadaten

ID
33302
Gattung
Brief ohne Umschlag
Empfänger
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach
Datierung
15.05.1871
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
13,2 x 21,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33302
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hertwig, Oscar; Hertwig, Richard; Jena; 15.05.1871; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_33302