Jena 29 April 72
Meine lieben Freunde!
Ihr letzter Brief hat mich durch die guten Nachrichten von Ihnen recht erfreut. Ich wünsche, daß Ihnen auch das kommende Sommer-Semester in Bonn die gehoffte Befriedigung gewähren und Ihre Arbeiten fördern werde. Ich habe in diesen Osterferien fast täglich Ihrer gedacht, in der schönen Erinnerung an die herrlichen Frühlingstage, welche wir vor einem Jahre zusammen auf der duftigen Rosmarin-Insel Lesina, in dem prächtigen Ragusa und dem interessanten Montenegro verlebt haben. ||
Ich war Anfang April von dem vielen ununterbrochenen Schreiben und Arbeiten sehr angegriffen und fühlte mich so schlecht, daß ich beschloß, zu Erholung noch 14 Tage nach Potsdam zu gehen, wo mein Bruder mit Familie wohnt und wohin meine Mutter jetzt nach meines Vaters Tode übergesiedelt ist. Da habe ich mich denn bei dem schönen Frühlingswetter etwas erholt. Ein paar Tage war ich auch in Berlin und traf zufällig im || zoologischen Garten mit Bresgen zusammen, der mir erzählte, daß er in Weimar Siea gesehen habe. Schade, daß Sie nicht auch nach Jena kamen!
Hier ist es seit einigen Tagen sehr lebhaft, ungewöhnlich viel Studenten, so daß wir hoffen, gegen 500 zu bekommen.
Gegenbaur war 4 Wochen in Nizza und Genua. Gerhard ist noch hier. Max Schultze habe ich leider nicht gesehen, da ich während seiner hiesigen Anwesenheit noch in Potsdam war. || Sie haben wohl die Güte, ihm beifolgende Einlage zu geben.
Von meinen Spongien sind jetzt 2 Bände fertig (der specielle Theil und der Atlas mit 60 Tafeln). Am allgemeinen Theil arbeite ich noch, so daß das Buch erst im Laufe des Sommers erscheinen wird.
Die III. Aufl. der Schöpfungsgeschichte erscheint zu Pfingsten.
Mit den besten Grüßen
freundschaftlichst
Ihr
Haeckel
a korr. aus: sie