Ernst Haeckel an das Referierkränzchen, [Weligama, zwischen Galle und Matara, Ceylon], 10. Januar 1882

An die Mitglieder des „Referir-Kränzchens“, resp. die Biologen von Jena.

10/Januar 1882

Liebe Freunde!

Schon längs hätte ich gern mein Versprechen eingelöst und dem „Referir-Abend“ Nachricht von mir gegeben. Aber Briefschreiben gehört unter den Tropen, und speciell in Ceylon, zu den schwierigsten aller Aufgaben, – besonders wenn man die kostbaren 12 Tagesstunden so auszunutzen beflissen ist, wie ich von mir dies behaupten kann. Täglich bin ich schon um 5 Uhr auf und um 6 Uhr bei der Arbeit. Daß ich Abends um 6 Uhr todtmüde bin und nach dem einsamen „Dinner“ um 8 Uhr gewöhnlich in unwiderstehlichen Sopor verfalle, ist nicht zu tadeln – zumal ich den Tag über kaum einige Stunden sitze, vielmehr mit Excursionen, Sammeln, Fischen, Jagen, Malen, Photographiren etc etc stets auf den Beinen bin. ||

Um gleich mit dem Wichtigsten kurzgefaßt zu beginnen, kann ich mittheilen, daß die hohen Erwartungen, die ich an diese meine erste und letzte Tropen-Reise geknüpft habe, größtentheils erfüllt sind und zum Theil noch übertroffen sind. Vor allem gilt dies von der Flora Ceylons welche über alle Beschreibung großartig, schön, erhaben und mannichfaltig ist. Ich bin nun fast 8 Wochen in Ceylon und täglich mit neuem Entzücken bewundere ich die Palmen und Bananen, Pandanus und Bambusen, Ficus und Bignonien, vor Allen im „Djungle“ die mächtigen Riesenbäume und die Pracht der Schlingpflanzen – eine Üppigkeit und eine Pracht der Vegetation die sich nicht beschreiben läßt. Und so das ganze Jahr hindurch! Denn Ceylon – wenigstens der südwestliche, von mir besuchte Theil, hat in der That einen „ewigen Sommer“ und ist alle Monate hindurch „immergrün“. ||

Weniger erbaut als von meinen botanischen bin ich von meinen zoologischen Erfahrungen und Genüssen. Zwar ist die Land- wie die See-Fauna überaus reich und interessant, und gleich der Flora gänzlich verschieden von unserer europäischen. Allein das Zoologische Arbeiten, wie ich es vom Mittelmeer her gewohnt bin, hat hier mit unüberwindlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, ebenso wie das Sammeln. Schon eine Stunde nach dem Fangen sind bei der hohen Temperatur (fast beständig 20–22, oft 24° R Tag und Nacht!) alle Seethiere todt und zersetzen sich in kürzester Zeit. Die einzigen Boote sind Canoes von kaum 1 Fuß Breite, aus einem ausgehöhlten Baumstamm bestehend. Dredgen etc ist damit ganz unmöglich. Meine Spiritus-Sammlung ist trotzdem ganz hübsch geworden, ebenso die Korallen; dagegen ist der größte Theil der Trockensachen (Insecten u. Vogelbälge) kürzlich (trotz aller Vorsicht) von den Termiten zerstört worden; überhaupt wimmelt es überall von verderblichen und feindlichen Insecten! || Meinen entomologischen Freunden kann ich daher leider nur sehr wenig mitbringen. Übrigens fand ich die fliegende Fauna im Ganzen, was Schönheit und Größe der Formen betrifft, unter meiner Erwartung, namentlich Vögel, Schmetterlinge u. Käfer; dagegen sind unglaublich massenhaft die Hymenopteren und Dipteren vertreten. Höchst interessant waren mir natürlich die Affen und Halbaffen; von letztern halte ich eine Mutter mit Kind lebend (Stenops). Sehr reich ist die Reptilien Fauna; 2 Riesen Eidechsen von 5–6 Fuß Länge (Monitor und Hydrosaurus) liegen überall am Wege. Schlangen finde ich weniger als erwartet; die gefürchtete „Cobra“ (Naja) fand ich nur einmal, und zwar in meinem Schlafzimmer in Peradenia. Das Schießen macht mir vielen Spaß und geht vortrefflich. Mit dem Photographiren geht es weniger befriedigend. Die Camera hatte sich in der überaus feuchten Luft vollständig verzogen. Auch das Ölmalen gedeiht nicht; um so mehr bin ich mit Aquarell beschäftigt und befriedigt. ||

II

Der bisherige Verlauf meiner Reise war folgender. Am 8. October von Jena, am 15. von Triest abgefahren, landete ich nach sehr angenehmer u. ruhiger Fahrt am 8. November in Bombay. Hier verlebte ich 8 höchst interessante und genußreiche Tage, welche auch eine sehr lohnende Excursion in die Bhor-Ghats, das 2000 Fuß hohe Tafelland von Dekkan. Am 21. November landete ich in Colombo, wo ich 2 Wochen blieb, bei lieben Landsleuten in angenehmstem Verkehr. Die officielle Empfehlung der englischen Regierung an den Gouverneur (der ziemlich unumschränkter Autokrat ist) hat mir sehr Viel genützt. Überall finde ich (officiell wie nichtofficiell) die freundlichste Aufnahme und Förderung meiner Zwecke; am hilfreichsten ist mir der Agent des Österreichischen Lloyd, dem ich Viel verdanke. 4 herrliche Tage hatte ich im botanischen Garten von Peradenia, der das reine Paradies ist (etwas verschieden vom sogenannten Jenenser!). Ich war dort mit Stahls Freund Marshall Ward und mit Dr. Trimen zusammen. || Am 8. Decbr. fuhr ich von Colombo nach Galle, am 12 hierher (mitten zwischen Galle und Matara). Hier im einsamen Rasthaus habe ich nun seit 6 Wochen mein Zoologisches Laboratorium aufgeschlagen. Es ist kein einziger Europäer hier; die braunen Singalesen sind im Ganzen gute Kerle, nur überaus neugierig; Alles was ich thue, ist so interessant und unerhört für sie, daß ich schon ganz im Rufe eines Magiers stehe; die wunderlichsten Sachen erlebe ich tagtäglich. Außerdem macht mir der Kampf mit dem Treibhaus-Klima mancherlei Noth; alles Eisen rostet, alles Leder und Papier verschimmelt. Trotzdem ist meine Gesundheit die beste. Am 16. Januar denke ich nach Matura zu gehen, am 24 nach Colombo zurückzukehren. Februar ist für die Hochlandreise bestimmt (Adams-Pick, Newerellia). Am 8. März geht ein Steamer nach Triest. Wahrscheinlich bleibe ich 14 Tage in Egypten und hoffe, Mitte April den lieben Freunden in Jena wieder die Hand zu drücken.

Mit herzlichsten Grüßen

E. Haeckel

Brief Metadaten

ID
33280
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
o.O.
Entstehungsland aktuell
Sri Lanka
Entstehungsland zeitgenössisch
British Empire
Datierung
10.01.1882
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
6
Umfang Blätter
3
Format
14,2 x 21,6 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33280
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hertwig, Richard; o.O.; 10.01.1882; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_33280