Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Richard Hertwig, Jena, 7. Mai 1882

Jena 7. Mai 82

Lieber Freund und College!

Heute ist der erste Tag, wo ich nach der ununterbrochenen Unruhe der letzten 14 Tage, seit ich wieder in Jena bin, zum Briefschreiben komme. Da soll es denn mein Erstes sein, Ihnen für die freundliche Widmung der Challenger-Actinien, durch die Sie mich eben so sehr überrascht, als erfreut haben, meinen herzlichsten Dank zu sagen. Ihr Bruder war so freundlich, am Morgen des 2. Mai, an welchem ich meine Vorlesungen wieder begann, mir Ihr schönes Werk (dessen prachtvolles Äußere dem hohen Werthe des Inneren entspricht! –) selbst zu überbringen, und wird Ihnen bereits mitgetheilt haben, wie sehr ich mich darüber gefreut habe. ||

Überhaupt habe ich in a den beiden Wochen seitb meiner Rückkehr hier so viel Beweise von herzlicher Freundschaft und aufrichtigem Wohlwollen (– ebenso von Seiten der Bürgerschaft wie des Corpus academicum –) erfahren, daß ich wahrhaft gerührt bin und das große Glück, wohlbehalten in die theure Heimath zurückgekehrt zu sein, doppelt empfinde. Vorgestern (Freitag) feierte die naturwissenschaftlich medicinische Gesellschaft meine Rückkehr durch ein solennes Festmahl, wobei Ihr Bruder eine sehr freundschaftliche und durch die vielfachen Erinnerungen mich tief ergreifende Festrede hielt. Vorher c hatte ich einen Vortrag über meine Reise gehalten. ||

Im Ganzen hat die Reise nach Ceylon meine Erwartungen vollkommen befriedigt, in vieler Beziehung übertroffen. Über 50 Kisten mit Sammlungen sind noch unterwegs. Über 200 Aquarell-Skizzen bewahren meine schönsten Erinnerungen. Ich verließ die Insel am 10 März, war am 28 in Suez, dann 14 Tage lang in Cairo, am 18. April in Triest, am 21. in Jena. Meine liebe Familie fand ich sehr wohl. Da die Gefahren der Reise in der That größer und mannichfaltiger waren, als ich vorher dachte und als ich in meinen Berichten mittheilte, war ich herzlich froh, nach so vielen und harten Strapatzen gesund und glücklich wieder in den stillen Hafen des kleinen Jena eingelaufen zu sein. ||

Sie können denken, daß hier hunderte von Briefen und Drucksachen, sowie Geschäfte aller Art meiner harrten; ich weiß noch kaum wo anfangen! Dazu kommen nun noch die Vorlesungen, die so stark besucht sind (gegen hundert, bereits eingeschrieben 80!) daß das Auditorium dicht gestopft ist. Den ganzen Tag bin ich von Besuchen belagertd! Entschuldigen Sie damit die Flüchtigkeit dieser Zeilen, und nehmen Sie nochmals den herzlichsten Dank entgegen von Ihrem alten

Ernst Haeckel

P.S. e Drei Tage war ich in Potsdam, wo ich meine alte (83jährige) Mutter sehr wohl antraf, ebenso meinen Bruder, dessen ältere Tochter sich kürzlich mit einem dortigen Lehrer verlobt hat.

a gestr.: seit; b eingef.: seit; c gestr.: hatte; d korr. aus: überlagert; e gestr.: Vor

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.05.1882
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33279
ID
33279