Ernst Haeckel an Richard Hertwig, Jena, 25. Mai 1892

VILLA HAECKEL. JENA, DEN 25. Mai 1892.

Lieber Richard!

Über die glückliche Vollendung und Ausführung Ihres „Lehrbuchs der Zoologie“, für dessen freundliche Zusendung ich bestens danke, habe ich mich aufrichtig gefreut, und wünsche Ihnen Glück dazu! An erfreulichem Erfolge wird es Ihnen sicher nicht fehlen, da Sie es verstanden haben, die wesentlichen Hauptsachen compact zusammenzufassen und den Leser mit ermüdendem Detail zu verschonen. Die meisten Zoologen scheinen diese Kunst nicht zu lernen! ||

Ich habe Ihr Lehrbuch als das beste meinen Schülern warm empfohlen. Hoffentlich folgt bald eine zweite Auflage. In Allem Wesentlichen mit Ihnen einverstanden, würde ich nur in der Classification Einiges verändert wünschen. Die Restitution von Cuviers Articulaten (– resp. Vereinigung der Anneliden und Arthropoden –) scheint mir das Verständniß der Metazoen-Phylogenie wesentlich zu erleichtern, ebenso die Sonderung der Platoden und Tunicaten als selbständigen Stamm. Welche Umordnung der Gruppen mir neuerdings als die zweckmäßigste erscheint, erfahren Sie aus der letzten Auflage der Natürlichen Schöpfungsgeschichte. Übrigens ändern wir ja unsere Systeme beständig! ||

– Von uns kann ich Ihnen Gutes melden. Einen herrlichen April-Frühling habe ich mit meiner Frau (die 3 Monate an Influenza gelitten hatte) an der Riviera verlebt, besonders in San Remo. Um so unangenehmer war hier der kalte und äußerst unerfreuliche Mai. Erst seit wenigen Tagen beginnt es warm zu werden. Lisbeth habe ich neulich in Leipzig besucht. Das junge Paar ist sehr glücklich, Beide passen vortrefflich zusammen. Lisbeth’s heiteres und frisches Wesen vermissen wir zu Hause sehr, da die kleine Emma eine sehr stille, sensible und in sich gekehrte Natur ist.

– Walter malt tüchtig in Weimar, leider der Mode folgend plein-air und realistisch – hoffentlich Larven Stadium! ||

– Was sagen Sie zu dem Renegaten Dr. Otto Hamann? Dieser Herr geberdete sich 12 Jahre lang als mein eifrigster Schüler, bewarb sich vor 3 Jahren dringlichst um die „Ritter-Professur für Phylogenie“, und als daraus Nichts wurde, hielt er es für zweckdienlicher, Alles zu verleugnen und die Schöpfung als „Wunder GOTTES“ zu erklären. Das Buch war offenbar auf Förderung durch Zedlitz-Trützschler berechnet, kam nur leider einen Monat zu spät! Doch höre ich so eben, daß die braven Berliner Hamann zum „Prof.“ gemacht haben! Ich bin an starken Tabak gewöhnt (obwohl „Nichtraucher“); aber eine solche Frechheit und Gemeinheit war mir bisher nicht vorgekommen.

– Hoffentlich geht es Ihnen und Ihrer lieben Familie gut! Im Spätherbst hoffen wir nach München zu kommen. Mit besten Grüßen Ihr treuer

E. Haeckel

Brief Metadaten

ID
33264
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
25.05.1892
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,4 x 22,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33264
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hertwig, Richard; Jena; 25.05.1892; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_33264