Ernst Haeckel an Richard Hertwig, Bordighera, 3. März 1904

Bordighera (Riviera di ponente)

Park-Hôtel.

3.3.1904.

Lieber Richard!

Unter den zahlreichen Briefen, mit denen mich Schüler und Freunde an meinem 70sten Geburtstage bedachten, hat mich der Ihrige ganz besonders erfreut. Denn er rief mir lebhaft sie schöne Zeit zurück, in der ich vor 36 Jahren Sie und Ihren Bruder Oscar in unsere zoologische Wissenschaft einführen und dann mit Ihnen die interessanten Reisen nach Lesina (1871) und nach Corsica (1875) ausführen konnte. Wie viel schöne und kostbare Erinnerungen knüpfen sich an diese längst vergangenen Zeiten gemeinsamen Natur-Genusses und -Studiums! ||

Meine Absicht, den ominoesen 70sten Geburtstag in aller Stille, in der verborgenen Klosterzelle von Rapallo zu verleben, ging nicht in Erfüllung. Ganz wider Erwarten überschwemmte mich eine unübersehbare Fülle von Briefen, Telegrammen, Postkarten, Geschenken der verschiedensten Art – im Ganzen über 1100! (allein aus Jena über 100, über Jena 400, direct nach Rapallo mehr als 600) – darunter viele rührende Beweise von Liebe und Verehrung, so daß ich mir sagen konnte, 40 Jahre lang nicht umsonst gekämpft zu haben. Auch alte Jugendfreunde und Universitäts-Genossen, von denen ich seit 50 Jahren Nichts gehört hatte, fehlten nicht. Mein kleines Hôtel Eden war in einen großen Blumengarten verwandelt. || Am Abend des 15. Februar, am letzten Tage meines 70sten Lebensjahres, hatte ich das Manuscript meines letzten biologischen Werkes vollendet, an dem ich die 4 Monate in Rapallo ununterbrochen gearbeitet hatte (täglich 10–12 Stunden, mehr als Freund Abbe erlaubt! –). Zu größeren Exkursionen bin ich gar nicht gekommen, auch zu kleineren nur wenig, da das Winter-Wetter im Ganzen schlecht war. Meine arme Frau mußte den ganzen Januar (– mit demselben starken Bronchial-Katarrh wie in Jena –) im Zimmer zubringen. Am 27.2. verließen wir Rapallo und hoffen nun hier in dem Palmengarten in Bordighera den März der Erholung widmen zu können. ||

Anfang April wollen wir zu unserm Sohn in Sonthofen reisen. Sollten wir auf der Rückreise (Mitte April) einige Tage in München bleiben, so werden wir Sie natürlich besuchen. Von der liebenswürdigen Einladung, bei Ihnen zu wohnen, können wir leider keinen Gebrauch machen, da der leidende Zustand meiner kränklichen Frau absolut Ruhe erfordert. Also nochmals für Alles herzlichsten Dank! Meine Frau grüßt mit mir Sie und Ihre liebe Frau bestens!

Stets Ihr alter teuer

Ernst Haeckel.

P. S. Da ich nicht weiß, ob ich an Prof. Maass das gedruckte Dankschreiben geschickt habe, lege ich noch eines bei.

Brief Metadaten

ID
33244
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Italien
Entstehungsland zeitgenössisch
Italien
Datierung
03.03.1904
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,1 x 22,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33244
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hertwig, Richard; Bordighera; 03.03.1904; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_33244