Ernst Haeckel an Richard und Jula Hertwig, Jena, 22. März 1907

Jena 22.3.1907.

Lieber Richard!

Die Münchener Akademie hat mir durch ihre Glückwunsch-Adresse, der Sie eine so schöne Form und einen so ehrenvollen Inhalt gegeben haben, wirklich eine außerordentliche Freude bereitet, und ich sage Ihnen dafür meinen herzlichsten Dank! Den officiellen Dank an die Akademie, dem ich Erinnerungen an meine persönlichen Beziehungen zu München (– und auch zu Ihnen! –) eingeflochten habe, habe ich an Voit u. Heigel geschickt. – Ich schreibe seit 10 Tagen an den Dankbriefen für 300 + x Telegramme und Briefe, die ich hier vorfand. ||

Die hübschen, mich sehr erfreuenden Artikel von Hatschek und Eugenie delle Grazie in Nr. 15281 der Wiener „Neuen Freien Presse“ (Morgenblatt vom 7.3.) haben Sie wohl gelesen? – Die enorme Teilnahme aus weitesten Kreisen aller Welt hat mich wirklich gerührt! – Negativ hat sich (komischer Weise!) nur Berlin verhalten – außer 2 freundlichen Telegrammen von Waldeyer und Engelmann kein Lebenszeichen!! Die Medicinische Facultät der Universität Berlin, die mich vor 50 Jahren promovirte, hat wahrscheinlich über diese Übeltat tiefe Reue empfunden und vor Studenten Buße getan! – Der Bauplan des Phyletischen Museums hat mich 14 Tage beschäftigt. In 4–5 Tagen hoffe ich endlich „ultramontan“ zu werden und 4 Wochen in Rom (und Elba?) Natur zu genießen.

Mit herzlichsten Grüßen Ihr treuer alter

Ernst Haeckel. ||

[gedrucktes Dankschreiben:]

JENA, 12. März 1907.

Aus Anlass meines goldenen Doktor-Jubiläums sind mir am 7. März d. J. überaus zahlreiche Glückwünsche und Beweise freundlicher Teilnahme von nah und fern zugegangen. Da ich zu meinem Bedauern nicht allen einzelnen Gebern und Gönnern persönlich meinen herzlichen Dank abstatten kann, bitte ich dieselben, ihn in diesen Zeilen entgegenzunehmen.

Als ich vor 50 Jahren in Berlin zum Dr. med. promoviert wurde und bald darauf das Medizinische Staatsexamen ablegte, konnte niemand die erstaunlichen Fortschritte ahnen, welche die biologischen Wissenschaften in dem nächstfolgenden halben Jahrhundert machen sollten, vor allem durch den siegreichen Einfluss des natürlichen Entwicklungs-Gedankens. Dass es auch mir vergönnt war, an dessen wissenschaftlicher Begründung und allgemeiner Verbreitung mit meinen besten Kräften mich zu beteiligen, betrachte ich jetzt als den erfreulichsten Teil meiner langen und kampfreichen Lebensarbeit. Den zahlreichen Freunden und Schülern, welche mich dabei wirksam unterstützt haben, gebührt noch mein besonderer Dank.

Da in vielen mir jetzt zugegangenen Zuschriften auch des neuen, im Beginne dieses Jahres begründeten „Phyletischen Museums in Jena“ teilnehmend gedacht wird, füge ich hier noch die Mitteilung an, dass dessen Bau – in unmittelbarer Nähe des jetzigen Zoologischen Institutes – demnächst be-||ginnen wird und im Laufe dieses Jahres vollendet werden soll. Als eigenartiges „Museum für Entwickelungslehre“ soll dieses „Phylogenetische Institut“ – eine „Phyletische Schausammlung“ – den weitesten Bildungskreisen durch zweckmäßige Schaustellung von Naturalien, Bildern und Präparaten die bedeutungsvollen Tatsachen der natürlichen Entwickelung – vor allem der Stammesgeschichte oder Phylogenie – vor Augen führen; diese geben nach meiner Überzeugung die sichersten Grundlagen für eine einheitliche, im besten Sinne monistische Weltanschauung. Die vernunftgemäße Religion, die daraus entspringt, beruht auf der harmonischen Verbindung von Kunst und Wissenschaft; ihr soll als Tempel unser Phyletisches Museum in Jena dienen.

Ernst Haeckel.

Herrn Professor

Richard Hertwig und Frau Gemahlin

(München) a

beste Grüsse und freundlichen Dank!

Ernst Haeckel

a gestr.: (Cölln Alt)

Brief Metadaten

ID
33240
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
22.03.1907
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
3
Umfang Blätter
2
Format
14,0 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33240
Beilagen
Gedruckte Danksagung zum 50. Doktorjubiläum Haeckels
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Hertwig, Richard; Jena; 22.03.1907; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_33240