ZOOLOGISCHES INSTITUT
DER UNIVERSITÄT JENA.
Jena 23.1.1909.
Lieber Freund!
In Betreff der Darwin-Feier am 12.2. scheinen wir Beide uns in ähnlicher Lage zu befinden. Ich bin gezwungen zu dieser Centenar-Feier hier einen Vortrag im Volkshause (– zum Besten des Phyletischen Museums –) zu halten – meinen letzten öffentlichen Vortrag überhaupt. (Am 10.2. schließe ich meine akademischen Vorlesungen für immer.). Nun komme ich mir vor, wie eine gänzlich ausgepreßte Citrone; denn seit 45 Jahren habe ich über Darwin und Darwinismus etc so oft und so viel gesprochen und geschrieben, daß ich unfähig bin, noch irgend einen neuen Gedanken auszupressen! || Eigentlich müßte ich meinen Eisenacher Vortrag (1882) über „Darwin, Goethe und Lamarck“ repetiren. Zur Vorbereitung habe ich nun Darwins Biographie und Weltreise wieder gelesen; ferner die Broschüre von Wilhelm Bölsche (Charles Darwin, 150 S., bei Voigtländer, Leipzig); und Arnold Lang, Forschungswege von Lamarck und Darwin, (Ritter-Vorlesung, Jena, 1889, Gustav Fischer); auch Walther May (Goethe, Humboldt, Darwin, Haeckel) 1904, (bei Quehl, Berlin, Steglitz). Von sämmtlichen Nekrologen etc, (auch englischen), nach denen Sie fragen, habe ich Nichts wieder angesehen, könnte sie Ihnen auch nicht schicken, da meine Bibliothek in völliger Auflösung (Übersiedlung) begriffen ist. ||
In Folge meines Unfalls (am 11.12.) habe ich 5 Wochen zu Bett liegen müssen und erst letzten Montag (18.1.) meine Vorlesungen wieder beginnen können. Es ist höchste Zeit, daß ich den Dienst aufgebe! Ich hoffe in Plate einen recht tüchtigen Nachfolger zu finden. Hätte er abgelehnt (wie es eine Zeitlang schien), würde ich die Berufung von Doflein vorgeschlagen und auch wahrscheinlich durchgesetzt haben. Hoffentlich kommt Ziegler an Plates’ Stelle nach Berlin. –
Die nächsten Monate werde ich nun Museums-Arbeit haben, da ich mit Plate zusammen die Hälfte der Sammlungen aus dem Zoologischen Institut in das Phyletische Museum überzuführen habe. Leider sind die Geldmittel für letzteres noch sehr ungenügend! ||
Über die guten Nachrichten von Ihnen und Ihrer lieben Familie habe ich mich sehr gefreut. Meine Frau, die sich jetzt leidlich wohl befindet, sendet mit mir Ihnen und den Ihrigen die besten Grüße!
Treulichst Ihr alter
Ernst Haeckel.