Ernst Haeckel an Leonhard Schultze, Uppsala, 24. Mai 1907

Upsala 24.5.1907.

Lieber Prof. L. Schultze!

Es tut mir Leid, Ihnen wegen des Zoologischen Adressbuchs – in Folge von G. R. Pohles Irrtum! – Mühe gemacht zu haben. Ich bin neugierig, wo sich das Zoologische Adressbuch schließlich finden wird? In meinem Arbeitszimmer war es nicht. – Meine Schweden-Reise zur Linné-Feier ist bis jetzt glücklich verlaufen – aber anstrengend! Ein Übermaß von Festen und von Gästen! Gestern war hier das große Festessen des Rectors – 170 Gedecke. Ich hatte den Ehrenplatz vis-à-vis dem Rector und mußte (im Namen aller auswärtigen Gäste, über 100!) auf dessen feierliche Begrüßungsrede antworten; es ging besser als gewöhnlich: ich sprach über „Linné und die Stellung des Menschen in der Natur“ ( – Mammalia = Primaten – ) (Sie würden zufrieden gewesen sein!) ||

Heute (Freitag) war das große 3 stündige Promotions-Fest im gothischen Dom (der größten Kirche Schwedens), dicht gefüllt mit einigen 1000 Menschen, auch der Hof war anwesend.

Es wurden über 100 Doctoren promovirt, ich – als Doctor Jubilaris Med. – mit besonderen Ehrungen! – Morgen sind die Linné Feste in Stockholm, Sonntag Einladung zum Kronprinzen. Ich hoffe dann auf einige Ruhetage und werde wohl erst am 2.6. nach Jena zurückkehren. – Oscar Hertwig und Ray-Lankester sind nicht erschienen; sonst sehr viel Deputation aus allen Ländern, z. T. interessant. Gestern dauerte das große Empfangs-Feste in der riesigen Aula (über 100 Deputationen!) 4 Stunden. Wetter schön (an den 3 Pfingstagen schauderhaft.) Die Herreise ist auch lang (von Berlin 24 Stunden). ||

Viel Sorgen hat mir in diesen Tagen der Bauplan unseres neuen Phylogenetischen Museums gemacht. Ich habe nämlich in den 3 großen schwedischen Universitäts-Städten – Lund, Upsala, Stockholm – über ein Dutzend schöne neue Museums- und Instituts-Bauten gesehen, sämmtlich in dem mir stets vorschwebenden Tempel-Styl, d. h. symmetrisch. Mittelbau meist schwach vortretend, bisweilen zurücktretend – zwischen 2 gleichen Flügeln – doch meistens flach, d. h. schwach ansteigend a (darunter Mansarden, nichts mit Schiefer, bisweilen Zink gedeckt) ( – niemals rote Ziegel!). Warum soll unser Phyletisches Museum asymmetrisch, wie ein Pleuronocter dastehen? Auch das hohe rote Ziegeldach, mit den Mansarden-Giebelfenstern, wird mir immer unsympathischer, je mehr ich daran denke. Ich bedauere, daß ich bei unserer letzten Conferenz diese Bedenken nicht ausdrücklich genug betont und meinen (Ihnen bekannten!) Symmetrie-Geschmack geltend gemacht habe. ||

Ich bitte Sie, baldigst zu Herrn Baumeister Dittmar zu gehen und ihn zu bitten, die Fassade (vorn) in diesem Sinne zu ändern. Sonst kann im Wesentlichen sein Plan (Einbindung etc) bestehen bleiben. Es wäre doch ganz töricht von mir, ein so wichtiges Unternehmen, dem ich so große Opfer bringe, gegen meinen Geschmack ausführen zu lassen. Schlimmstenfalls müssen wir doch noch einen anderen Baumeister nehmen. Eventuell sprechen Sie auch mit dem Herrn Curator. Mehrere hiesige Collegen, denen ich die Sachlage mitteilte, bestärkten mich in meinen Auffassungen.

Montag 3.6. bin ich zurück und sofort zu einer neuen „Bau-Conferenz“ bereit.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

E. Haeckel.

a gestr.: (…)

Brief Metadaten

ID
33169
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Schweden
Entstehungsland zeitgenössisch
Schweden
Datierung
24.05.1907
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Besitzende Institution
Privatbesitz
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Schultze, Leonhard; Uppsala; 24.05.1907; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_33169