Dohrn, Anton

Anton Dohrn an Ernst Haeckel, Stettin, 27. Dezember 1865

Lieber Ernst!

Auf Deinen freundlichen Brief folgende Antwort, mit der Du aber absolut schweigsam umgehen musst, bis ich Dir Redefreiheit gestatte.

Ich werde schwerlich am 5 Januar mit Dir nach Jena gehen, da ich Sonnabend den 30sten December nach Paris reise. Dort ist nämlich Heinrich angekommen, vollkommen entkräftet, da er bereits seit Monaten schwer am klimatischen Fieber gelitten hat, und jetzt nicht im Stande ist die Weltreise allein zu unternehmen. Meine Mutter ahnt nichts davon und glaubt ihn gesund und wohl auf den Capverdischen Inseln. Er ist aber dem Tode nahe gewesen und hata auf Befehl eines preussischen Marine-Arztes sofort Africa verlassen müssen. Ich reise also Sonnabend hier ab und bin Sonntag Abend in Paris. Mein Vater und meine Braut wissen allein von der ganzen traurigen Affaire. Wann ich wiederkomme, weiss ich natürlich nicht.

Erfreuliches wird Dir folgende Nachricht sein.

Ich habe ein prachtvolles Petrefact aus der Steinkohlenformation bekommen, ein ausserordentlich schön erhaltenes Insect, das aber in keine der heutigen Insectenordnungen einzureihen ist, obwohl es am nächsten mit den Hemipteren verwandt ist. Es hat Flügel aehnlich den Orthopteren, Antennen wie ein Papilio, Mandibeln und Maxillen, wie eine Wanze, aber eine b kurze Unterlippe mit langen fünfgliedirgen Lippentasten, die vollkommen frei sind, nicht wie bei den heutigen Wanzen mit der Unterlippe zu einem Schnabel verwachsenc. Das Thier muss wenigstens 10 Zoll Flügelbreite gehabt haben, ist also ansehnlich genug. ||

Mit Zeichnung und Bearbeitung dieses Fundes habe ich natürlich genug zu thun, ausserdem bin ich durch Gesellschaften und Bekannte so in Anspruch genommen, dass ich kaum Zeit zum Essen und Verdauen habe, – nun kommt noch die unerwartete Fahrt nach Paris, – Du entschuldigst also wohl meine Kürze.

Dass Du 150!!!! Darwinianer zu Zuhörern zählst ist ein grosser Triumpf, den ich Dir wie keinem Andren gönne: ich hab’s Dir von vornherein prophezeit, Du wirst das Meteor der Zoologie!

Caprellchen habe ich an Siebold gechickt.

Leb wohl. Grüss Deine Eltern recht herzlich.

For ever

Dein

Anton

Stettin 27.12.65.

a eingef.: hat; b gestr.: Unt; c korr. aus: verwachen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
27.12.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3307
ID
3307