Ernst Haeckel an Paul Rottenburg, Jena, 31. Mai 1913

Jena 31. Mai 1913.

Liebster Freund!

Für Deine wiederholten freundlichen Zusendungen von Eurer Schweizer-Reise, sowie die interessanten Mitteilungen über den Südpolfahrer Scott etc meinen herzlichen Dank; und besonders für Deine Mitteilungen über Luzern und den Vierwaldstätter See, an welche herrlichen Orte mich so viele schöne Erinnerungen knüpfen – dank Deiner unermüdlichen Güte und Fürsorge! Wie gerne hätte ich noch einmal mit Dir die gemeinsam dort erlebten Kunst- und Natur-Genüsse aufgefrischt; aber leider ist sowohl für mich, wie für Schwester Röschen, (– Beide total invalide! –) jede Hoffnung auf Reisen, und überhaupt auf freie Bewegung, ausgeschlossen. ||

Das alte Herz- und Nervenleiden hat meine arme Frau volle 4 Monate an’s Bett gefesselt; erst seit einigen Wochen ist sie wieder aufgestanden und kann sich stundenweise in unseren kleinen Garten setzen, dessen Vegetation dies Jahr ganz herrlich ist – dank dem wunderbaren Frühlingswetter, das alle Blumen 3 Wochen früher und üppiger als sonst hervortreibt.

Meine Exkursionen beschränken sich auf das nahe „Paradies“ und das phyletische Museum; ich lasse mich auf dem trefflichen, von Dir gestifteten Fahrstuhl hinfahren, der jetzt mein wichtigstes Instrument geworden ist; beschützt von Deiner blauen Decke und dem weichen Kissen. ||

Mein Allgemeinbefinden ist dies Jahr etwas besser als voriges; ich kann wieder malen, und die Reparatur der vielen nicht vollendeten Skizzen, die ich auf meinen Reisen gesammelt habe, macht mir viel Vergnügen. Aber mit dem productiven Arbeiten ist es leider vorbei, und auch die eigentliche „Wissenschaft“ verfolge ich nur aus der Vogel-Perspektive.

– Seit 3 Wochen ist wieder Lisbeth mit ihren reizenden 3 Töchterchen hier (jetzt schon 18, 13 und 4 Jahre alt). Sie bleiben noch 2 Monate in der Villa auf dem „Landgrafenberg“. Lisbeth holt mich öfter zu einer Spazierfahrt nach dem Forst und der Ammerbacher Platte ab; ein Vergnügen das ich seit 8 Monaten entbehrt habe. ||

Hans Meyer, der von seiner letzten, sehr anstrengenden Tropenreise eine Leber-Affektion heimgebracht hat, befindet sich jetzt zur Kur in Karlsbad. –

Walter und Familie in München geht es gut

– Zu der gelungenen Heilung Deines kranken Knie-Gelenks sende ich Dir meinen besonderen Glückwunsch; ich habe mich jahrelang damit geplagt.

– Deine philosophischen Betrachtungen über die glanzvolle „moderne“ Zeit und besonders über die politische Affen Komödie in und außer Europa teile ich vollständig! Kennst Du die kleine „Berliner Illustrirte Zeitung“ (mit sehr gelungenen Illustration)? Sonst schicke ich sie Dir gern!

Mit herzlichsten Grüssen und besten Wünschen

treulichst Dein alter E. Haeckel.

P.S. Wenn Dich Dein Reise Schicksal in die Nähe von Jena führt, vergiß uns nicht!a

a eingef. am linken Rand von S. 4: P. S. Wenn … uns nicht!

Brief Metadaten

ID
32955
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
31.05.1913
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,2 cm.
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32955
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Rottenburg, Paul; Jena; 31.05.1913; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32955