Lieber Freund!
Kaum habe ich Dir geschrieben, so erscheint Dein Brief! Also darauf folgende Antwort.
Vor allen Dingen versichere ich Dich des Ernstes meines Wollens; Du kannst denken, dass ich nicht Berlin mit Jena wieder vertauschen würde, wenn ich nicht die energische Absicht hätte, jetzt fest und förmlich an meinem Lebensschiff zu zimmern. Ich weiss es besser als Du, dass mit geistvollen Gedanken nichts erreicht wird: ich habe an meinem Vater ein deutliches Beispiel. Aber ich habe auch viel unter seiner Erziehung grade nach der Seite hin gelitten; und Du wirst nicht hart gegen mich sein, wenn es mir schwer wird, im Arbeiten Deinen Ansprüchen zu genügen. Aber ich habe ja jetzt die höchste und schönste Nöthigung, habe an sittlichem Halt in mir selber gewonnen, und habe bei aller Leichtlebigkeit Ehrgeiz: so hoffe ich in Jenaischer Einsamkeit doch das zu erreichen, nach dem ich strebe. Wenn ich nur nicht auswendig lernen muss: das ist die fürchterlichste Thätigkeit, die ich kenne. Aber Untersuchungen selbständiger Art, wo mir Entdeckungen möglich sind, – die sollen schon einen fleissigen Menschen an mir finden. Wohl Dir, Du bist nicht blos eine fleissige Natur, sondern auch zum Fleiss immer erzogen. Ich, – leider ist es wahr, – bin niemals so erzogen. Ich muss jetzt, wie ich mich erst || selber zur Sittlichkeit, zum Idealismus gebildet habe, auch zum Fleiss, zur Arbeit, erziehen. Dazu hilf mir mit Geduld und Strenge, dann danke ich Dir meine schönste Befriedigung.
Rechne auf mein Bewusstsein, auf meinen Verstand, – und auf meine Liebe.
Sprich in Jena noch nicht von dieser neuen Angelegenheit. Das kann sich ja entwickeln auf unsrer Reise.
Ich komme sehr gern mal auf einen – bis zwei Tage, und melde Dir das erst an. Morgen früh fahre ich nach Stettin, um alle dortigen Hindernisse, die mir meine Eltern noch bereiten zu überwinden.
Bald hörst Du mehr.
– Zwei Jahre wollte ich in jedem Falle auch erst arbeiten ehe ich mich zu habilitiren gedachte –
Tausend Dank für Deine Hülfe, mein lieber Freund!
Dein treuer
Anton Dohrn
Himmelfahrtstag 65.