Anton Dohrn an Ernst Haeckel, Berlin, 17. Februar 1865

Lieber Freund!

Eigentlich wollte ich Dir zu dem Jahrestage Deines Unglücks diese Zeilen schicken, damit Du doch von all Denen, die Deine treffliche gute Frau gekannt haben, ein Zeichen der Erinnerung und ein Band der Freundschaft empfingest, aber meine Arbeiten und Verpflichtungen liessen mir nicht Zeit und Sammlung. Und auch heute kann ich Dir nicht einen langen Brief schreiben, denn ich muss für meine Arbeit die zusammenhängenden Stunden behalten: aber jedenfalls will ich Dir ein Paar Worte sagen und Dir herzlich die Hand drücken. Du bist trotz Deines Schmerzes für Viele noch immer beneidenswert: wer so wie Du zu arbeiten weiss, wer so glühende Enthusiasmen nähren und fortpflanzen kann, der ist innerlich ein Krösus neben den armen interesselosen Schluckern, denen das Bisschen Leben im Essen, Trinken und Amüsiren vergeht! Du hast ein ruhiges, beneidenswerthes Alter voll Gesundheit, Kraft und Ruhm vor Dir, und die wirkliche Anerkennung, die Dir einst von Allen gezollt werden wird, die bringen Dir heute Deine Freunde und ein Theil Deiner Fachgenossen dar, und voll der innigsten Freundesliebe spricht sie Dir grade jetzt, wo Du ihrer am meisten bedarfst, Dein besster, oder wenigstens einer Deiner bessten Freunde aus, denn ich darf mich nichta vor Männer stellen, die Dir mehr sein müssen. –

Ich bin jetzt mit der Abfassung meiner Dissertation beschäftigt, welche die Anatomie dreier exotischen Wanzen zum Gegenstand hat, und natürlich mit Darwin’schen Tendenzen und Gesichtspunkten reichlich versehen ist. Natürlich ist das keine Arbeit, welche über ungeahnte Dinge aufklären wird, aber es giebt doch immerhin manche || Berichtigungen alter und Aufführungen neuer Angaben, die ihr Brauchbares haben. Den bessten Vortheil habe ich selber davon, denn man wird sich immer erst über die eigne Unsicherheit und Unkenntniss klar, wenn man zusammenhängend schreiben muss, was man gesehen und gefunden hat. Die nächste Arbeit gleichen Genres’ wird darum gewiss besser.

Darwin’sche Literatur habe ich wiederum reichlich aufgestapelt; furchtbar dumm ist auch Pictet! Die Kerls kriege ich aber Alle vor, wie sie da gebraten und gebacken sind. Es lässt sich wohl begreifen, dass solche Denker einen Abscheu vor Philosophie haben, denn sie sind ja so unfähig wie Quartaner! Wie wundervoll sind doch die Naturwissenschaften, dass auch solche Intelligenzen darin vortreffliche Verwendung finden! Sie karren und schieben die Bausteine prächtig zusammen; aber sie sollten zugleich auch bedenken, dass Maurerpolire eben nicht Architecten von der Grösse Darwin’s kritisiren dürfen! – Die Natural History Review ist sehr interessant, ich habe sie mir zugelegt. –

Noch wollte ich Dich bitten, mir von Deinen Aufsätzen Separata zu dediciren, sobald sie nicht in der Jenaer Zeitschrift und im Reichert-Dubois’schen Archiv gedruckt worden sind; denn die halte ich.

Weisst Du noch nicht, wann Du hierher kommst zu Ostern? Schreib es mir, damit ich mich einrichte.

Nun leb wohl; grüsse herzlich unsre früheren Genossen und empfiehl mich Gegenbaur.

Bleib gesund und antworte bald

Deinem

Anton D.

Berlin, Freitag 17. Februar. 1865.

a eingef.: nicht

Brief Metadaten

ID
3291
Gattung
Brief ohne Umschlag
Verfasser
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Königreich Preußen
Datierung
17.02.1865
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
1
Format
14,1 x 22,0 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3291
Zitiervorlage
Dohrn, Anton an Haeckel, Ernst; Berlin; 17.02.1865; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_3291