Jena 9.9.1904.
Liebster Freund!
Verzeihe, daß ich Dir nicht längst für Deinen lieben Brief und Karte gedankt habe (– mit unserer schönen Erinnerung an Assan!). Ich war aber den ganzen Sommer so mit dringender Arbeit überlastet, daß ich zu Nichts kam. Die ganzen schönen Ferien (– die diesmal in den Alpen bei dem herrlichen Wetter viel Genuß hätten bieten können –) habe ich am Schreibtisch verbracht – Correcturen der „Lebenswunder“; 70 Bogen (d. h. 35 doppelt revidirt!) ||
Heute ist das Register in die Druckerei gegangen. So werde ich Dir in einigen Wochen mein letztes Buch schicken können; nimm es gnädig auf! –
Jetzt kommen 3 Wochen Erholung (wohlverdient!). Auf vieles Bitten habe ich mich entschlossen dem großen ersten allgemeinen Freidenker-Congreß in Rom beizuwohnen, 20. –22. September – in der Aula magna des „Collegio Romano“! über den Auspicien des Italiänischen Cultus-Minsters Orlando!! Es wird großartig werden. ||
Ich denke Donnerstag 15.9. abzureisen, 1 Tag in München, 1 Tag an Garda-See (?) dann direct nach Rom (Ankunft 19.9.). Wenn Du kannst, solltest Du Dir dieses welthistorische Schauspiel ansehen: „Universel Congréso de la Libre Pensée“ zu Rom, im Angesicht des Papstes. Ich stelle einen Antrag auf Gründung eines allgemeinen Monisten-Bundes! – Vom 23. an denke ich 14 Tage zu bummeln, im Römischen Gebirge und Südtyrol etc. –
Der Besuch aus allen Weltteilen wird diesem Congress Gewicht verleihen. ||
Meiner Familie ist es diesen Winter im Ganzen gut gegangen. Walter ist jetzt mit Familie dauernd nach München übergesiedelt.
Hoffentlich geht es auch bei Euch gut!
Herzlichste Grüße von Haus zu Haus
Dein alter
E. Haeckel.