Ernst Haeckel an Helene von Waldthausen, Jena, 3. Mai 1918

Jena 3. Mai 1918.

Hochverehrte Gnädige Frau und liebe Freundin!

Ihr freundlicher, heute eingetroffener Brief hat mich sehr erfreut; ich beeile mich, Ihnen meinen herzlichsten und aufrichtigsten Dank dafür zu sagen. Besonders beruhigt hat mich die Mitteilung, daß Sie, an Ihrer hochherzigen Zusage festhaltend, die versprochenen 10.000 Mk – als III. und IV. Rate der „Waldthausen-Stiftung“ – noch in diesem Jahre an das hiesige Universitäts-Rentamt für die akademische „Ernst-Haeckel-Stiftung wollen einzahlen lassen. Es liegt mir deßhalb so Viel daran, weil die wichtige Frage der neuen „Goethe-Professur für Entwickelungslehre“ demnächst den Senat der Universität Jena und speziell die Philosophische Facultät beschäftigen wird und ich die erforderlichen Mittel zu ihrer etatsmässigen Besoldung mit Hülfe Ihrer Stiftung (aus deren Zinsen) beschaffen will. ||

Übrigens ist es für die Sache gleichgültig, ob Sie die ganze Summe (in Kriegsanleihen) gleich jetzt anweisen wollen, oder in zwei Raten ( – die III. Rate jetzt, die IV. im Herbst – ). Letzteres würde insofern vorzuziehen sein, als die Geschenk-Steuer für Stiftungen erst bei Summen über 5000 Mk zu entrichten ist.

Es gereicht mir zur besonderen Freude und Beruhigung, daß nunmehr das Kapital der hiesigen Ernst-Haeckel-Stiftung – welches nicht angegriffen werden soll – die Höhe von Hunderttausend Mark erreicht hat, und daß der jährliche Zinsen-Ertrag derselben ausreicht um die wichtigen Ausgaben des Haeckel-Archivs – oder „Phyletischen Archivs“ in der Universitäts Bibliothek, die Besoldung des Archivars und Dieners, Vermehrung der Bibliothek u. s. w. vorläufig zu decken. ||

Die Aussichten für die weiter fortschreitende Organisation und fruchtbare Wirksamkeit meines Archivs haben sich neuerdings dadurch erfreulich gebessert, daß mir noch ein weiterer dritter Raum in der Universitäts-Bibliothek zugedacht, auch eine neue Sammlung von wertvollen Archivalien (Bildern, Büchern, Briefen u. s. w.) von einem meiner älteren Schüler, Professor Walter May in Karlsruhe, versprochen worden ist. Dadurch nähere ich mich immer mehr dem hohen Ziele, das meine letzte Lebens-Arbeit sein soll, – der Ausgestaltung meines Archivs zu einer Zentral-Stelle für Studium der Entwickelungslehre und der damit verknüpften Monistischen Philosophie. Für die Ober-Aufsicht dieses neuen Organs der Universität und die Wahl eines Direktors (nach meinem Tode) wird vom Senate eine besondere Kommission eingesetzt. Sie können sicher sein, daß die von Ihnen dafür gestifteten Mittel in der besten Weise verwendet und in vollkommener Ordnung verwaltet werden. ||

Die Persönlichkeit des Herrn Doktor Heinrich Schmidt, der naturgemäß – nach den gegebenen Verhältnissen! – diese Stellung als Archivar als Erster bekleiden soll und gleichzeitig damit als erster Inhaber der „Goethe-Professur“ verpflichtet wird (zu bestimmten Vorlesungen) kommt dabei weiterhin nicht in Betracht. Zunächst muß ich ja sehr zufrieden sein, daß seine wichtige Arbeit über allgemeine Geschichte der Entwicklungslehre, die ihn seit Jahren beschäftigte, gut ausgeführt ist und als Buch von 31-32 Druckbogen (= cc. 500 Druckseiten) demnächst erscheinen wird. Selbstverständlich werde ich Ihnen dieses Buch (hoffentlich noch im Laufe des Monats Mai) als Geschenk zusenden; gewünschten Falles stehen Ihnen noch mehrere Exemplare (wie auch von den „Kristallseelen“ zur Verfügung. – Hoffentlich geht es Ihnen gut!

Mit meiner Gesundheit geht es immer mehr abwärts; die Kräfte schwinden leider beständig!

Mit wiederholtem herzlichstem Danke

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel. ||

Dr. Heinrich Schmidt (geb. 1874).

Mit größtem Bedauern las ich in Ihrem langen Briefe (vom 4. Januar 1918) die bitteren Klagen, welche Sie über meinen langjährigen Schüler, den jetzigen Archivar Dr. Heinrich Schmidt führen. Gewiß ist sein Benehmen gegenüber Ihrer Güte, Nachsicht und Gastfreundschaft, sehr bedauernswert. Sie müssen aber zur Entschuldigung seinen schwierigen, von harten Kämpfen erfüllten Lebenslauf ansehen. Als Sohn eines armen Glasarbeiters im Thüringer Walde hat er niemals die feinere Erziehung eines gebildeten Familienlebens genossen, sich nur mühsam (ohne Gymnasial-Bildung) zum Seminar-Lehrer emporgearbeitet, und dann erst – als talentvoller Autodidakt! – durch eifriges Privat-Studium – sich ausgezeichnete philosophische Kenntnisse erworben. Als er dann hier (mit 26 Jahren) bei mir studierte, habe ich ihn auf alle Weise gefördert und mehrere Stipendien zu Reisen (nach Italien, Norwegen etc.) gegeben. Gegen mich ist sein Benehmen stets tadellos und sehr dankbar gewesen. ||

Als Hauptursache der vielen Fehler und Taktlosigkeiten, die Dr. Heinrich Schmidt gegenüber anderen Menschen begeht, betrachte ich seine unglücklichen Familien-Verhältnisse, die ihm niemals das Glück einer befriedigenden Häuslichkeit gestatten. Natürlich ist er selbst auch vielfach daran Schuld!

Wie Sie selbst erfahren haben, ist seine zweite Frau, Rose Weber, eine höchst anspruchsvolle Großstädterin, deren Ideal ein „Amüsantes Leben in Berlin“ ist, und die gar nicht in das einfache Jena paßt.

(Ihre Mutter in München, Schriftstellerin, ist auch von ihrem Manne getrennt. – )

Die materielle Lage der Familie Heinrich Schmidt ist jetzt, wo auch noch die Sorge für einen Jungen besteht und beide Eltern kein Vermögen haben, sehr mißlich!

Brief Metadaten

ID
32561
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
03.05.1918
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,2 cm bzw. 14,0 x 21,2 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32561
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Waldthausen, Helene (Ellen) von; Jena; 03.05.1918; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_32561